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5.11.4 Körperliche Misshandlung von Kindern und Alten

Zusatzinfo

Wissenswertes

Eine Untersuchung aus dem Jahr 2004 ergab, dass ein Viertel der befragten Frauen zwischen 16 und 25 Jahren mind. einmal in ihrem Leben Gewalt erfahren hatte. In der Praxis ist es oft schwierig, auf die unterschiedlichsten Fallkonstellationen richtig zu reagieren, auch, weil verschiedene Rechtsgüter gegeneinander abgewogen werden müssen. Wesentlich ist ein vorurteilsfreies Herangehen. Rechtliche Grundlage der vom Arzt vorzunehmenden Rechtsgüterabwägung, nämlich die Sicherheit des Kindes gegen die Schweigepflicht, ist § 34 StGB. Prinzipiell gilt dies auch für Jugendliche im Alter von 14-18 Jahren. Das Ausstellen eines Attests ist unproblematisch, wenn der Patient darum bittet. Fragen andere Institutionen nach einem Attest, muss der Arzt von der Schweigepflicht entbunden sein. Das Attest selbst soll den Verwendungszweck ausweisen sowie Untersuchungs- und Ausstellungsdatum enthalten und Anamnese, Befund sowie Interpretation getrennt aufführen. Abkürzungen und Fachausdrücke sind zu vermeiden (Banaschak u. Rothschild 2012).

 

Definition Gewalt

In Anlehnung an die WHO wird Gewald definiert: Gewalt umfasst Drohungen und Verhaltensweisen mit der Absicht oder der Inkaufnahme zu schädigen. Gewalt kann unterschiedliche Formen annehmen; sie richtet sich gegen Personen (andere oder sich selbst) oder Objekte. Sie erfolgt meist durch körperlichen Einsatz und/oder psychische und verbale Mittel und verursacht körperliche und/oder psychische Verletzungen. Unterschieden werden meist körperliche, psychische und sexuelle Gewalt sowie Vernachlässigung. Dazu kommt medial vermittelte Gewalt. Insbesondere ist auch auf das Miterleben häuslicher Gewalt zu achten, weil betroffene Kinder dadurch sehr belastet sind. Die verschiedenen Gewaltformen treten selten isoliert auf. Beispielsweise ist körperliche, sexuelle oder mediale Gewalt immer auch mit psychischer Gewalt verbunden.

Wölfl H, Dangl L (2021) Was tun bei Verdacht auf Gewalt und sexuelle Übergriffe an Kindern und Jugendlichen ? Öst Ges Allgmed (ÖGAM) Ärzte Krone 14: 18-20

 

Meldepflicht

Das Gesundheitsdienst- und Verbraucherschutzgesetz regelt in Artikel 14  "Schutz der Gesundheit von Kindern und Jugendlichen" in Abs. 6: „Ärztinnen und Ärzte, Hebammen und Entbindungspfleger sind verpflichtet, gewichtige Anhaltspunkte für eine Misshandlung, Vernachlässigung oder einen sexuellen Missbrauch eines Kindes oder Jugendlichen, die ihnen im Rahmen ihrer Berufsausübung bekannt werden, und Übermittlung der erforderlichen personenbezogenen Daten unverzüglich dem Jugendamt mitzuteilen."


Tabelle. Typische Verletzungen bei stumpfer Gewalt (Jacobi et al. 2010)

  • Hämatome (zum Beispiel Monokel- und Brillenhämatom beim Faustschlag auf die Augenregion)
  • schlagbedingte Verletzungen der Lippen, des Mundes, der Zähne (Schwellungen, Hämatome und Platzwunden der Mundschleimhaut im Sinne sog. Zahnabdruckkonturen, gelockerte und umblutete Zähne, Zahnspitzenabbrüche, Verletzungen der Rachenschleimhaut als sogenannte Fütterungsverletzung bei heftigem Stoßen des Fütterungslöffels an die Rachenwand)
  • Hämatome an den Oberarmen im Sinne von Griffspuren
  • Hämatome am Thorax beim sog. Schütteltrauma-Syndrom des Säuglings
  • typisch konturierte sog. Doppelstriemen beim Schlagen mit einem Werkzeug (Stock, Gürtel, Seil etc.)
  • Frakturen nach grober stumpfer Gewalt, wobei je nach Frakturart und Frakturlokalisation eine Kindesmisshandlung mehr oder weniger wahrscheinlich ist
  • Bei älteren Kindern können Hämatome an den Streckseiten der Unterarme im Sinne sog. Abwehrverletzungen vorkommen.
  • Hämatome in unterschiedlichen Lokalisationen kommen vor, wenn das Kind geworfen, getreten und/oder geschlagen wird.
  • Gelegentlich finden sich semizirkulär konfigurierte, linienartig angeordnete kleine Hämatome als sog. Bissspuren (wenn frisch: Abstrich für DNA-Nachweis).
  • bei abdominalem Trauma (Schläge, Tritte): Verletzungen vor allem des linken Leberlappens, duodenale, jejunale und Nieren- sowie Milzverletzungen

Definition Misshandlung

Die Misshandlung wird als Krise oder Konflikt definiert, der die gesamte Familie betrifft. Bei fehlender Kooperation oder Verleugnung durch die Eltern müssen Institutionen mit weiterreichenden Befugnissen wie Jugendamt und Familiengericht hinzugezogen werden.


Merke
In der Allgemeinpraxis ist das Management von Misshandlungsfällen nur begrenzt möglich; deshalb sollte die stationäre Einweisung vorgenommen werden, notfalls unter Einschaltung des Jugendamtes.


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