Mader : Fakten - Fälle - Fotos®
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6.6.3 Vorhofflimmern

Zusatzinfo

Leitlinien

Dr.med. Manninger-Wünscher und Prof. Daniel Scherr, Graz, stellen in einer Übersichtsarbeit in der Zeitschrift Der Allgemeinarzt (2021) 6: 38-42 die Konsequenzen für den Hausarzt dar
https://allgemeinarzt.digital/epaper-data/Der-Allgemeinarzt-2021_6/40/index.html


Die Katheterablation ist seit Anfang der 80er-Jahre bei einer ganzen Reihe von Herzrhythmusstörungen Mittel der Wahl; sie ermöglicht eine kausale Therapie ohne chirurgischen Eingriff. Dabei wird mithilfe lokaler intrakardialer Energieabgabe über einen speziellen Katheter das für die Rhythmusstörung verantwortliche Myokardgewebe zerstört.

Spezielle Therapien

Anhaltendes VF kann in fast allen Fällen (> 95 %) durch eine externe Kardioversion beendet werden (allerdings in etwa 60-80 % im ersten Jahr danach Rezidiv von AF).

Antiarrhythmika

Wesentliches Ziel der antiarrhythmischen Therapie ist die Linderung oder Beseitigung der häufig belastenden Symptome. Die Behandlung von VF erfolgt größtenteils symptomgesteuert; eine neue Klassifikation der European Heart Rhythm Association (EHRA) trägt diesem Umstand Rechnung: Sie reicht von EHRA I (asymptomatisch) bis EHRA IV (es bestehen behindernde Symptome, es ist keine normale Tagesaktivität mehr möglich). Empfohlene Medikamente: Amiodaron, Flecainid, Propafenon, Sotalol und Dronedaron.

Von der Zeitdauer des VF und dem Leidensdruck des Patienten hängt es ab, ob der Arzt versuchen soll, den Sinusrhythmus wiederherzustellen oder ob sich der ältere, meist komorbide Patient mit der Frequenzkontrolle zufrieden gibt, für die – in Abhängigkeit von Lebensstil oder Komorbidität – bestimmte Substanzen zur Verfügung stehen (Tabelle).

Tabelle. Substanzen zur Frequenzkontrolle bei älteren Patienten in Abhängigkeit von Lebensstil oder Komorbidität

Lebensstil oder Komorbidität

Substanz

Inaktive Lebensweise

Digitalis

Hypertonie bzw. ohne Komorbidität

Betablocker

Diltiazem

Verapamil

Digitalis

Herzinsuffizienz

Betablocker

Digitalis

COPD

Diltiazem

Verapamil

Digitalis

Selektive Beta1-Blocker


Abschätzung des Schlaganfallrisikos: CHADS2- und CHA2DS2-VASc-Score

Ob ein Patient die Indikationskriterien für eine orale Antikoagulation erfüllt, hängt von seinem individuellen Schlaganfallrisiko ab; dabei ist wichtig zu wissen, welche Patienten der Low-risk-Gruppe angehören, die ohne Gerinnungshemmer auskommen können. Der CHADS2-Score (Tabelle) setzt sich aus fünf klinischen Risikomerkmalen zusammen. Bei eindeutiger Klassifizierung als Hochrisikopatient (CHADS2 ≥ 2) steht die Notwendigkeit einer oralen Antikoagulation außer Frage. Schwieriger zu entscheiden ist bei diesem Score im Risikobereich 0-1 die Frage für oder gegen eine Antikoagulation. Dagegen berücksichtigt der CHA2DS2-VASc-Score zusätzlich noch die Faktoren weibliches Geschlecht, bestehende Gefäßerkrankung wie KHK und Alter zwischen 64 und 75 J. Maximal kann damit eine Punktzahl von 9 statt 6 erreicht werden. So entsprechen einem CHADS2-Score 0 im neuen Scoringsystem drei abgestufte Risikokategorien 0-3.

Mit jeder Zunahme des CHA2DS2-VASc-Scores um einen Punk, erhöht sich die Ereignisrate stetig, und zwar von 0,84 % (Score = 0) auf 1,79 % (Score = 1), 3,67 % (Score = 2), 5,75 % (Score = 3) und schließlich 8,18 % (Score = 4) pro Jahr. Bei Patienten mit einem CHA2DS2-VASc-Score = 0 wird von einem „wirklich niedrigen“ Schlaganfallrisiko ausgegangen; bei ihnen kann auf eine Antikoagulation verzichtet werden. Dagegen ist bei allen übrigen Patienten mit einem CHA2DS2-VASc-Score ≥ 1 eine gerinnungshemmende Behandlung zum Schutz vor Schlaganfall angezeigt.

Eine Studie im BMJ zeigt, dass der CHA2DS2-VASc-Score (Tabelle) besser als der CHADS2-Score abschneidet (Olesen et al. 2011). Eine weitere große Studie aus Dänemark zeigt ebenfalls, dass derCHA2DS2-VASc-Score bei Vorhofflimmern die Abschätzung des Schlaganfallrisikos und der Notwendigkeit einer therapeutischen Antikoagulation verbessert. Dies gilt insbesondere für Patienten mit niedrigsten Score-Werten (0 P) (Olesen 2012). CHADS2-Score ist ein Scoresystem zur Schlaganfallrisikoabschätzung bei nicht valvulärem Vorhofflimmern. 

 

Tabelle. Scoring-Unterschiede zwischen CHADS2 und CHA2DS2-VASc-Score

 

CHADS2 (max. 6 P)

CHA2DS2-VASc (max. 9 P)

Risikofaktor

Punkte

Punkte

Kongestive Herzinsuffizienz

1

1

Hypertonie

1

1

Diabetes

1

1

Vaskuläre Krankheit (z.B.KHK, PAVK)

Nicht-Anwendbar

1

Alter zw. 65-74J

Nicht-Anwendbar

1

Alter > 75

1

2

Weibliches Geschlecht

Nicht-Anwendbar

1

Durchgemachter TIA/Schlaganfall

2

2


Tabelle. CHADS2-Score zur Abschätzung des Schlaganfallrisikos bei Vorhofflimmern.

 

Bei Vorliegen von…

…ergibt sich

C (CHF*)

Strukturelle Herzerkrankung, die Herzinsuffizienz verursacht

1 Punkt

H („hypertension“)

Arterielle Hypertonie (auch behandelt)

1 Punkt

A („age“)

Alter > 75 Jahre

1 Punkt

D („diabetes“)

Diabetes mellitus

1 Punkt

S2 („stroke“)

Durchgemachter Schlaganfall oder transitorische ischämische Attacke

2 Punkte

 

Summe

Maximal 6 Punkte

* „chronic heart failure“
Score = 0: Risiko schwerer Blutungen bei Antikoagulation höher als Nutzen dieser Behandlung
→ dauerhafte Thrombozytenaggregationshemmung mit ASS 100-300 mg/d.
Score = 1: Individuelle Entscheidung zwischen Antikoagulation (INR 2-3) oder ASS.
Score
≥ 2: Orale Antikoagulation.


Therapie mit Direkten Oralen Antikoagulanzien (DOAK)

DOAK
= ursprünglich NOAK (= Neue Orale Antikoagulanzien).


NOAKs zur Antikoagulationsbehandlung bei Vorhofflimmern

Die Neurologen PD Dr.Michael Wendler, Innsbruck, und Chefarzt Dr. Carsten Isenberg, Straubing, informieren in einem CME-Beitrag in der Zeitschrift Der Allgemeinarzt (2021) S1: 24-34 neben Dosierung und Indikation der NOAKs über das Management von Schlaganfall (vgl. Mader: Fakten-Fälle-Fotos 12.7.5) in speziellen Situationen wie Blutungskomplikationen einschl. Antagonisierung der NOAK-Wirkung  oder über Alternativen zur NOAK-Therapie. Dabei wird auch auf die Indikation für eine Antikoagulationsbehandlung bei Vorhofflimmern eingegangen
https://allgemeinarzt.digital/epaper-data/Der-Allgemeinarzt-Sonderheft-2021_1/24/index.html


Kritisch und sehr differenziert äußert sich die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) in der überarbeiteten Stellungnahme vom Sept. 2016 zum Einsatz der DOAKs  bei der Indikation "Nichtvalvuläres Votrhofflimmern".
http://www.akdae.de/Arzneimitteltherapie/TE/LF/PDF/OAKVHF.pdf

Im DEGAM-Benefit kommentiert der Herausgeber Prof.Dr.med. Michael M. Kochen: 
"Viele Hausärzte sind nach wie vor – zu Recht – über dieses Thema verunsichert, werden sie doch fast täglich mit Empfehlungen von niedergelassenen Spezialisten und Krankenhäusern eingedeckt. Diese sprechen sich fast unisono für den Einsatz der neuen, nicht-Vitamin-K-abhängigen oder direkten Antikoagulantien (DOACs) und gegen das „althergebrachte“ Phenprocoumon/Marcumar® aus. Solche Ratschläge, die den hausärztlichen Verordnern z.T. einreden wollen, die Verschreibung von Phenprocoumon würdegegen „neue Leitlinien“ verstoßen, kommen nicht selten von Kollegen, die finanzielle Beziehungen zu den entsprechenden pharmazeutischen Unternehmern haben. Die neue Auflage von 2016 stellt eine industrieunabhängige Orientierungshilfe dar und bespricht neben allen in Deutschland zugelassenen Wirkstoffen zur oralen Antikoagulation (Dabigatran [Pradaxa®], Rivaroxaban [Xarelto®], Apixaban [Eliquis®] und Edoxaban [Lixiana®]) auch das einzige bisher vorliegende Antidot Idarucizumab, das die Wirkung von Dabigatran neutralisieren soll. Die verfügbaren Daten sind in dem vorliegenden Dokument z.T. in Tabellenform gegenüberstellt und helfen so bei der Auswahl des optimalen Arzneimittels. Die AkdÄ empfiehlt grundsätzlich, DOACS nur denjenigen Patienten zu verordnen, für die Phenprocoumon aus verschiedenen Gründen (die im Text erläutert werden) nicht geeignet sind. Die Empfehlungen der AkdÄ sind nicht identisch mit den Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie, die sich für den primären Einsatz der DOACs ausspricht."


Fallbeispiel

Kasuistik 6.6.3-1: „Ich habe ein bisschen zu viel erwischt“

Eine 40-jährige Patientin kommt mit unregelmäßigem Puls nach einer Betriebsfeier am Vorabend in die Praxis. Im EKG zeigt sich tachykardes Vorhofflimmern bei einer anamnestischen Dauer von ca. 16 Stunden. Die körperliche Untersuchung ist unauffällig. Die Patientin war vor einem Jahr beim Kardiologen „wegen dem Herzen. Da ist aber nichts gefunden worden, sogar im Echo war nichts“.

Übung:

Wie ist Ihr Vorgehen als Hausärztin?

Kasuistik 6.6.3-2: „Ich spür‘ aber nichts!“

Ein asymptomatischer 65-jähriger Patient mit bekannter arterieller Hypertonie kommt zur Check-up-Untersuchung in die Praxis. Im EKG, das der Patient wünscht („ich möchte mich mal gründlich von Ihnen untersuchen lassen“), zeigt sich normofrequentes Vorhofflimmern. Der Beginn des VF ist unklar. Auf Hinweis bemerkt der Patient: „Herr Doktor, übertreiben Sie nicht: Das bisserl Blutdruck und jetzt schon wieder was mit dem Herzen. Ich spür‘ ja nichts.“ Überweisung zum Kardiologen: Im Herzecho zeigt sich eine linksventrikuläre Hypertrophie mit normaler systolischer Funktion. Der Beginn des VF lässt sich nicht eingrenzen.

Übung:

Wie ist Ihr Vorgehen als Hausärztin?

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