7.4 Bauchschmerzen
Zusatzinfo
Bei Bauchschmerzen sollten die Überlegungen des Allgemeinarztes möglichst in alle nur denkbaren Richtungen zielen; dies ist jedoch in der Praxis in der Regel nicht zu leisten, wenn man bedenkt, dass sich allein in „Pubmed“ über 19.500 Publikationen zu diesem Thema finden, teilweise mit sehr vielen Fallberichten von der Bleivergiftung bis zum Ogilvie-Syndrom (zit. bei Sandholzer 2006).
Viszeraler Schmerz
Er ist dumpf, tief liegend, eher diffus, häufig krampfartig, d. h. in der Intensität zu- und abnehmend und oft schlecht lokalisiert. Der viszerale Schmerz wird erzeugt durch Dehnung der Hohlorgane, durch Muskelkontraktionen, Spasmen, durch schmerzhafte Hyperperistaltik des Darmes oder durch abrupte Anspannung von Organkapseln (z. B. Urethrokolik, Gallenkolik, Leberkapselspannungsschmerz).
Somatischer Schmerz
Er ist scharf, brennend und meist gut zu lokalisieren. Der somatische Schmerz ist Folge von Entzündung (z. B. Appendizitis), Verletzung oder Embolie eines Abdominalorgans und geht vom Peritoneum parietale, dem Mesenterium, dem Mesocolon oder dem Retroperitonealraum aus.
Abwehrspannung
Die Abwehrspannung kann zunächst lokalisiert in der Region des erkrankten Organs bestehen, aber auch schon zu Beginn oder später diffus das gesamte Peritoneum (Peritonismus) umfassen. Entzündungszeichen wie Fieber und Blutveränderungen sowie der Peritonismus kündigen oft eine spätere Peritonitis an (Lankisch et al. 2006).
Tipp
Bei der Palpation des Abdomens beginnt man in der Region, in der der Patient die geringsten Schmerzen hat. Von dort tastet man weiter in den Bereich der Hauptschmerzlokalisation.
Tabelle. Ursachen akuter Bauchschmerzen (Frieling 2009)
Ursache |
Strömberg et al. |
Trede et al. |
OMGE-Studie |
Miettinen et al. |
Unspezifisch |
44,3 % |
26,3 % |
34 % |
33 % |
Akute Appendizitis |
15,9 % |
13,2 % |
28,1 % |
23,3 % |
Darmobstruktion |
8,6 % |
|
4,1 % |
5,2 % |
Divertikulitis |
8,2 % |
|
1,5 % |
1,1 % |
Pankreatitis |
3,2 % |
|
2,9 % |
3,9 % |
Gallenblasenkolik |
2,9 % |
12,9 % |
9,7 % |
8,8 % |
Perforation |
2,3 % |
|
2,5 % |
2,8 % |
GI-Tumor |
1,6 % |
|
1,5 % |
2,0 % |
Mesent. Ischämien |
1,5 % |
|
|
|
CED |
0,6 % |
|
|
|
Extraintestinal |
8,3 % |
|
6,9 % |
7,0 % |
Urologisch |
5,9 % |
|
2,9 % |
2,3 % |
Gynäkologisch |
2,4 % |
|
4,0 % |
4,7 % |
GI-Tumor: gastrointestinaler Tumor, CED: chronisch entzündliche Darmerkrankung |
Funktionelle chronische Bauchschmerzen
Bei den Betreffenden besteht häufig eine entsprechende familiäre Belastung mit chronischen körperlichen Beschwerden oder Schmerzen, Kopfschmerzen, „Nervosität“ oder Depression. Kinder sind oft unreif und ungewöhnlich abhängig von den Eltern, leiden unter Angstzuständen oder Depression, sind besonders besorgt, zwanghaft und perfektionistisch. Oft gestehen die Eltern dem Kind eine besondere Rolle aufgrund seiner Stellung in der Familie (z. B. Einzelkind, jüngstes Kind, einziger Junge oder einziges Mädchen unter vielen Geschwistern) oder aufgrund medizinischer Probleme (z. B. Koliken, Essstörungen) zu. Die Eltern sind oft ängstlich („over-protective“), autoritär und besonders besorgt um das Kind (MSD-Manual, 7. Aufl., Elsevier).
Mit dem Leitsymptom Bauchschmerzen und der systematischen Abklärung befasst sich ein Beitrag in der Zeitschrift Der Allgemeinarzt 2016.
http://www.allgemeinarzt-online.de/a/1755444
Dokumentation und Untersuchung bei Verdacht auf häusliche Gewalt / Missbrauch
Ein umfangreiches und empfehlenswertes Informations- und Dokumentationsprofil für Fälle von häuslicher und sexueller Gewalt und Misshandlung findet sich über (Stand: April.2016):
http://www.frauennotruf-frankfurt.de/
Fallbeispiel
Kasuistik 7.4-1: Bauchschmerzen bei 80-Jähriger: Es war die Wirbelsäule
Eine 80-jährige Patientin kam außerhalb der Routinetermine und klagte über heftige Bauchschmerzen, die am Vortag plötzlich und ohne erkennbare Ursache eingesetzt hatten. Sie waren konstant und unabhängig von Nahrungsaufnahme bzw. Stuhlgang; keine Veränderungen vegetativer Funktionen. Die Untersuchung des Abdomens blieb ohne pathologischen Befund.
Unter abwartendem Offenlassen – anfangs mit engmaschigen Kontrollen – und symptomatischer Schmerztherapie klangen die Schmerzen innerhalb von 4 Wochen ab. Aber nach einem Vierteljahr wiederholte sich das Ganze. Etwas fiel jedoch besonders auf: Die Patientin wirkte kleiner. In der Tat war sie 2 cm kleiner als vor einem Jahr. Die seitliche Röntgenaufnahme der LWS bestätigte die Vermutung: Ursache der Bauchschmerzen waren osteoporotische Wirbelfrakturen im Bereich der LWS.
(Sturm 2007)
Stichwörter: plötzliche Bauchschmerzen – zunächst unauffälliger Befund – osteoporotische LWK-Fraktur