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9.3.4 Schwerhörigkeit

Zusatzinfo

Unterschiedliche Hörsysteme

Moderne Hörsysteme gibt es als Hinter-dem-Ohr-(HdO)- und Im-Ohr-Systeme (IO). HdO-Geräte stehen in der Regel für leichte, mittlere und starke Hörverluste zur Verfügung. IO-Geräte sind eher für leichte bis mittlere Hörminderungen geeignet und können in drei Variationen getragen werden: kaum sichtbar im Gehörgang, am Eingang des Gehörgangs oder in der Ohrmuschel. Bei IO-Geräten ist die Handhabung für Senioren deutlich schwieriger als bei HdO-Geräten (Meyer 2009).


Der Allgemeinarzt und HNO-Arzt Dr. Fritz Meyer berichtet in seinem Buch „Sinnesstörungen. Hören – Sehen – Gleichgewichthalten – Schmecken“ (Meyer u. Knorr 2012) von drei Patienten mit Hörstörungen, die jedoch unterschiedliche Ursachen haben (s. Kasuistiken 9.3.4-2 bis 9.3.4-4).


Hausärztliche Otologie

Mit der "hausärztlich relevanten Otologie bei Senioren mit akuter und chronischer Schwerhörigkeit" befasste sich der Allgemeinarzt und HNO-Arzt Dr.med. Fritz Meyer, Oettingen, auf dem 50.Kongress der DEGAM in Frankfurt (2016) in einem äußerst praxisbezogenen und didaktisch hervorragenden Workshop.(Folien mit freundlicher Genehmigung des Autors).
Dr. Fritz Meyer Hausärztlich relevante Otologie
 


Fallbeispiel

Kasuistik 9.3.4-1: 70-jährige Seniorin: „Meine jüngere Spielpartnerin spricht immer so leise.“

Die fast 70-jährige Ursula D. ist der Prototyp einer sportlichen und aktiven Seniorin. Ihr größeres Handicap beim Golfspiel ist das Gehör: „Meine jüngere Spielpartnerin spricht immer so leise und ich verstehe sie dann nicht. Und mein Mann beschwert sich, dass ich den Fernseher immer lauter stelle. Andererseits sind mir sehr laute und schrille Töne oft unangenehm. Brauche ich vielleicht ein Hörgerät? Meine Mutter ist damit aber nie richtig klargekommen und hat es auch selten getragen. Doch vielleicht hat sie auch zu spät damit angefangen – diesen Fehler möchte ich nicht machen.

Bei der hausärztlichen Untersuchung der Ohren finden sich keine Besonderheiten. Die im Sprechzimmer orientierend durchgeführte Sprachabstandsprüfung deckt das Problem auf: Umgangssprache wird auch in 4 m Entfernung gut gehört, doch die geflüsterten Zahlen versteht die Patientin erst bei einem Sprachabstand von 50 cm. Wie schon die Symptome vermuten lassen, leidet Ursula D. unter einer behandlungsbedürftigen, beidseitigen Schwerhörigkeit im Alter (Presbyakusis). Sie möchte rechtzeitig ein Hörgerät.

Stichwörter: Hörstörung – Presbyakusis – Hörgeräteversorgung

Kommentar:

Diese Patientin ist eine absolute Ausnahme. Die Mehrzahl der betroffenen Patienten reagiert auf den Vorschlag einer Hörgeräteverordnung mit brüsker Ablehnung und die Vorurteile sind nahezu deckungsgleich.

(Kasuistik von F. Meyer 2009)

Kasuistik 9.3.4-2: Die 84-Jährige: „Ganz neu ein Druckgefühl in beiden Ohren“

Eine 84-jährige Frau klagt schon seit langem über Schwerhörigkeit. Ganz neu sei jetzt ein zunehmendes Druckgefühl in beiden Ohren.

„Nun gut, dass ich schlechter höre, das merke ich bei jeder Gelegenheit. Den Fernseher muss ich sehr laut stellen und bei einem Familienfest habe ich große Mühe, einem Gespräch zu folgen. Aber den Druck, das hatte ich bislang noch nie und jetzt tut es auch weh.“

Stichwörter: zunehmendes Druckgefühl in beiden Ohren – Zerumen

Kommentar:

Das Druckgefühl ist rasch geklärt: beide Gehörgänge sind mit hartem Zerumen verklebt und nach Spülung beider Ohren sind die Trommelfelle erkennbar. Die klassischen Stimmgabelversuche sind regelrecht. Bei der Sprachabstandsprüfung im Sprechzimmer wird Umgangssprache zwar aus 4 m Entfernung sicher verstanden, geflüsterte zahlen jedoch erst bei 25 cm Abstand von den Ohren. Daraufhin habe ich der Seniorin Hörgeräte vorgeschlagen; das wollte sie aber erst noch mit ihren Angehörigen besprechen.

Kasuistik 9.3.4-3: Der 61-jährige Berufskraftfahrer: „Mit Hörgerät bin ich meinen Beruf los“

Ein mir bislang unbekannter 61-jähriger Berufskraftfahrer sucht wegen Erkältung die Praxis auf. Beiläufig sehe ich, dass er sich im Gespräch mit dem rechten Ohr auffällig zu mir hindreht. Ich frage ihn, ob er nicht gut höre.

„Meine Frau meint das schon lange, und ich vermute das auch. Aber seit Jahrzehnten fahre ich unfallfrei einen Viehtransporter. Bei der arbeitsmedizinischen Untersuchung bin ich bisher noch nicht aufgefallen. Wenn ich jetzt ein Hörgerät bekomme, dann bin ich meinen Beruf los.“

Stichwörter: in der Sprechstunde Zuwendung mit dem rechten Ohr – unauffällige arbeitsmedizinische Untersuchung – pathologische Sprachabstandsprüfung - Hörgeräteanpassung

Kommentar:

Die Sprachabstandsprüfung bring es an den Tag: Flüstersprache wird rechts selbst nahe am Ohr nicht mehr gehört, das Verständnis für Umgangssprache ist auf einen halben Meter reduziert. Das Hörvermögen auf dem linken Ohr ist geringfügig besser. Ich habe dem Patienten dringend zur Hörgeräteanpassung geraten und ihn aufgeklärt, dass seine bisherige Berufstätigkeit dadurch nicht zwangsläufig gefährdet sei.

Beachte
Soziales und persönliches Handicap einer Schwerhörigkeit im Alter werden von (normal hörenden) Laien und vielen Ärzten weit unterschätzt.

Kasuistik 9.3.4-4: Der 70-Jährige: „Seit der Erkältung wie Watte im Ohr“

Wechselndes Druckgefühl und zusätzliche Hörminderung auf dem linken Ohr führen den 70-jährigen Rentner in die Sprechstunde: „Vor zwei Wochen hatte ich eine Erkältung und seitdem im linken Ohr so ein Gefühl, wie wenn Watte drin stecken würde.“

Stichwörter: einseitiges Wattegefühl im Ohr – pathologisches Valsalvamanöver – Septumdefekt der Nasenscheidewand

Kommentar:

Das Valsalvamanöver weist den Weg: links ist die typische Aufwärtsbewegung des Trommelfells nicht erkennbar. Die nächste Überraschung folgt beim Blick in die Nase: im vorderen Drittel der Nasenscheidewand ist eine fingernagelgroße Perforation mit borkig-blutigen Rändern erkennbar. Auf Nachfragen berichtet der Patient von einer Nasenoperation in der Jugendzeit: der Septumdefekt kann Folge dieses Eingriffs sein. Mit Hinweis auf entsprechende Funktionsstörungen der Nase werden konsequente Pflegemaßnahmen und die regelmäßige Durchführung des Valsalvamanövers empfohlen. Nach 2 Wochen sind die Beschwerden weg.

Bei plötzlichen Tubenfunktionsstörungen mit Nasenatmungsbehinderung sollte beim älteren Menschen als AGV Nasen-, Nasennebenhöhlen- oder Nasenrachenraumtumore unterschiedlicher Dignität bedacht werden.

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