Mader : Fakten - Fälle - Fotos®
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2.1.10 Management

Zusatzinfo

Physikalische Fiebersenkung

Die Programmierte Diagnostik mittels Checklisten ermöglicht ein entspanntes Arbeiten für den Allgemeinarzt; es werden nicht nur die häufigsten bzw. wichtigsten abwendbar gefährlichen Verläufe bedacht, sondern es kommt auch gelegentlich zu unerwarteten diagnostischen Weichenstellungen (Tabelle).

Tabelle. Auswertung von 200 diagnostischen Programmen »uncharakteristisches Fieber« (UF). Weichenstellung in 11 Fällen durch neu aufgedeckte Erkrankungen oder Symptome einer Erkrankung. (Aus Danninger 1989)

Fall

Alter

Geschlecht

Beratungsursache

Beratungsergebnis

Durch die programmierte
Diagnostik neu aufgedeckte Erkrankung

1

49 J.

Männlich

Fieber, Husten

UF

Leistenhernie

2

66 J.

Weiblich

Verkühlung

AFAR

Subikterus

3

29 J.

Männlich

Verkühlung

Husten

Perforiertes Trommelfell

4

36 J.

Männlich

Verkühlung

Bronchitis

Hämorrhagische Zystitis

5

20 J.

Weiblich

Ohrenbeschwerden, Verkühlung

AFAR

Systolikum

6

6 M.

Männlich

Husten

Husten, Mesotitis

Anämie

7

27 J.

Weiblich

Halsschmerzen, Husten

Pharyngitis

Zystitis

8

7 J.

Weiblich

Fieber

UF, Bronchitis

Mikrohämaturie

9

55 J.

Männlich

Fieber

UF

Albuminurie

10

42 J.

Weiblich

Fieber, Brechreiz

UF

Diabetes mellitus

11

60 J.

Männlich

Reduzierter Allgemeinzustand, Erbrechen

Depression

Depression

J. Jahre, M. Monate

Ein kühler Waschlappen auf der Stirn oder handwarme Wadenwickel mit einem Spritzer Essig oder Zitronensäure sind bei Fieber nicht „verboten“. Zurückhaltung ist jedoch geboten. Probanden mit experimentellem Fieber fühlten sich während externer Kühlversuche miserabel. Durch physikalische Temperatursenkung wird nachweislich im Rahmen der Gegenreaktion vermehrt Energie verbraucht. Bei Malaria und bei schwerer Sepsis – vermutlich auch bei anderen schweren Infektionen – kann das Behandlungsergebnis sogar deutlich verschlechtert werden. Bei der medikamentösen Fiebersenkung unterbleibt die vermehrte Gegenreaktion mit Energieverbrauch: Das Fieber steigt erst wieder bei Nachlassen der zentralen Wirkung der Antipyretika (Kern 2007).


Praktische Tipps bei Erkältung

Der Allgemeinarzt und HNO-Arzt Dr.med. Fritz Meyer verrät in der Zeitschrift Der Allgemeinarzt (2017) zahlreiche praxisrelevante Tipps bei "Husten, Schnupfen oder Halsschmerzen".
http://www.allgemeinarzt-online.de/a/dr-meyers-viren-waffen-1804599


Fiebermanagement bei Kindern

Merke
Fieber verursacht im Unterschied zur Hyperthermie niemals körperliche Schäden.

Die „Fieberphobie“ aufgrund der Annahme von schädlichen Auswirkungen des Fiebers ist unter Eltern wie unter Ärzten weit verbreitet.

Merke
Der gefürchtete Fieberkrampf lässt sich durch Antipyretika nicht verhindern.

Der routinemäßige Einsatz von Antipyretika wird seit geraumer Zeit hinterfragt. Fieber kann zumindest für einzelne Infektionen vorteilhaft sein (u. a. antimikrobielle Wirkung).

Freilich soll der Patient unter den erhöhten Temperaturen nicht leiden. Auch kann häufig die mit Fieber verbundene Trinkfaulheit im Kindesalter durch antipyretische Therapie positiv beeinflusst werden.


Trinken bei Fieberanstieg

Eltern machen vielfach den Fehler, dem Kind viel zu viel zu trinken zu geben, so dass die Flüssigkeit wieder erbrochen wird. Faustregel: 1000 ml Flüssigkeit löffelweise über den Tag verteilt für ein Kleinkind mit 10 kg KG.

Das Antipyretikum der ersten Wahl im Kindesalter ist Paracetamol in der Dosierung 15 – 20 mg/kg/Dosis (max. 80 mg/kgKG pro 24 h) während kurzer Dauer. Für eine gute Wirksamkeit ist initial eine höhere Ladedosis von 40 mg/kgKG rektal notwendig (Kahlert, Nadal 2006).


"Eltern beruhigen"

Diesen Tipp hält Kinderarzt Dr. med. Ulrich Enzel in der Zeitschrift Der Allgemeinarzt (2017)  als wichtigste Maßnahme beim fiebernden Kind. Natürlich müssen zugleich auch die wichtigsten Schritte in Anamnestikkörperlicher Untersuchung und Re-Evaluation vorgenommen werden.
http://www.allgemeinarzt-online.de/a/wichtigste-massnahme-eltern-beruhigen-1815350


Wann stationär einweisen?

Ein einheitliches Vorgehen für die weitere ambulante oder stationäre Versorgung eines Säuglings oder Kleinkindes mit Fieber ohne erkennbare Ursache gibt es nicht.
 

Merke
Die alleinige Telefontriage ist beim fiebernden Kind unter 5 Jahren nicht ausreichend.


Physikalische Fiebersenkung bei Kindern

 

Kühlung wird empfohlen, wenn sich nicht nur Gesicht und Stirn, sondern auch die Beine und der übrige Körper warm anfühlen. Die Wickel müssen nicht kalt sein. Es reicht völlig aus, wenn die Temperatur der Tücher 10° unter der des Körpers liegt. Empfohlen wird dafür zimmerwarmes (22°) oder sogar bis zu 30° warmes Wasser. Mit den Wickeln sollten stets beide Waden der Kinder getrennt eingepackt werden und die Tücher von den Fußgelenken bis kurz unter die Knie reichen. Sie sind alle 5-10 min zu erneuern, bis das Fieber um 1-2° gesunken ist.

Die meisten fiebernden Kinder empfinden ein Abkühlungsbad als angenehm. Zu Beginn liegt dabei die Wassertemperatur  etwa 2°C über der Körpertemperatur: dann kaltes Wasser zulaufen lassen, so dass die Temperatur innerhalb von 10 min auf etwa 30° sinkt. Die Kinder sollten etwa 7 min im abgekühlten Wasser bleiben.
Quelle: Stiftung Kindergesundheit 2011


Medikamentöse Fiebersenkung bei Kindern

Bei Überdosierung von Paracetamol sind schwere Leberschäden möglich. Ibuprofen hat sich auch bei der Behandlung von Kindern mit Otitis media bewährt. Geringere Toxizität als Paracetamol; Überdosierungen sind nicht bekannt. ASS sollte wegen des sehr seltenen Risikos eines Reye-Syndroms mit Gefahr einer schweren Leber- und Hirnschädigung bei Kindern < 12 J nicht verwendet werden.


Tabelle. Die Top 10-Ratschläge zur Antibiotikatherapie (mod. Daschner et al. 2011)

  1. Besteht überhaupt ein bakterieller antibiotikabedürftiger Infekt?
  2. Ein Antibiotikum ist kein Antipyretikum. Fieber allein ist keine Indikation für eine Antibiotikatherapie.
  3. Lokale Resistenzsituation beachten.
  4. Wenn eine Antibiotikatherapie in 2-3 Tagen nicht wirkt, vor allem an Folgendes denken:
    - Fokus, z. B. Abszess, nicht saniert
    - Antibiotikum nicht wirksam (Resistenz?)
    - Patient nimmt Antibiotikum nicht
    - falsche Substanzwahl, z. B. Substanz erreicht den Infektionsort nicht
    - Erregerwechsel während der Therapie
    - falscher Erreger (Viren! Pilze!)
    - isolierte Erreger verursachten die Infektion nicht
    - Abwehrdefekt des Patienten
    - Medikamentenfieber
    - Fremdkörperinfektionen, z. B. Venen-/Harnblasenkatheter
  5. Wenn eine Antibiotikatherapie unnötig ist, dann sofort absetzen. Je länger Antibiotika gegeben werden, umso größer ist die Gefahr der Selektion resistenter Keime, von Nebenwirkungen und Toxizität.
  6. Antibiotika nicht zu häufig umsetzen und nicht zu schnell wechseln. Auch die beste Antibiotikatherapie erzielt bei einer Infektion die Entfieberung erst nach 2-3 Tagen. Antibiotika werden oft zu schnell nach der Entfieberung abgesetzt (Rezidivgefahr!). Antibiotika werden aber häufig auch zu lange gegeben. Bei den meisten Infektionen reicht eine Therapiedauer von 3-5 Tagen nach der Entfieberung.
  7. Perioperative Antibiotikaprophylaxe so wenig und so kurz wie möglich. Bei den meisten Eingriffen genügt eine Dosis präoperativ.
  8. Wechselwirkungen und physikalisch-chemische Unverträglichkeiten mit anderen, gleichzeitig verabreichten Medikamenten beachten. Gegebenenfalls einen Apotheker kontaktieren.
  9. Die meisten akuten Infektionen der oberen und unteren Atemwege werden durch Viren verursacht. Antibiotika sind in diesen Fällen nicht indiziert.
  10. Bei leichten und mittelschweren Infektionen der Atemwege sollten vor allem Phytopharmaka mit dafür belegter Wirksamkeit eingesetzt werden.

Fiebermanagement bei Senioren: stationär oder ambulant?

Für die Abschätzung des Risikos und der Frage nach einer Hospitalisation kann in Einzelfällen der CURB-65-Score hilfreich sein. Er ist gut validiert und setzt sich aus Parametern zusammen, die auch der Hausarzt leicht bestimmen kann (Tabelle 1 und 2).

Tabelle 1. CURB-65-Score zur Abschätzung des Risikos von Fieber bei Senioren (Lim et al. 2003)

C

Confusion

1

U

Urea > 7 mmol/L*

1

R

Respiratory rate > 30

1

B

Blood pressure syst. <90, diast. <60

1

65

Age >65 y

1

* Normwerte für Reflotron <65 J.: 8,3 mmol/L; >65 J.: 11,9 mmol/L

 

Tabelle 2. Indikation für Hospitalisation bei Pneumonie

CURB-65-Score

Letalität

Entscheidung

0-1

1,5 %

Ambulant

2

9,2 %

Hospitalisation?

3-5

22 %

Hospitalisation!

>4

Intensivstation!


Der Allgemeinarzt H.-M. Mühlenfeld schildert anhand des IhF-Minimoduls „Das fiebernde Kind“ 4 Kasuistiken (2.1.10-1 bis 2.1.10-4) (Hausarzt 2007; 7:36-38) von unterschiedlichem Vorgehen bei bestimmten Fieberfällen bei Kindern.

Der Allgemeinarzt Dr. R. Thelen berichtet aus seiner Praxis 3 Kasuistiken (2.1.10-5 bis 2.1.10-7) bei fiebernden Kindern und schildert die unterschiedlichen Verläufe (Hausarzt 2009; 7:43).


S3- LL Antibiotic Stewardship zum rationalen Umgang mit Antibiotika im Krankenhaus

Für den Allgemeinarzt medizingeschichtlich interessant sind die im Bayerischen Ärzteblatt 2016 von Prof. Dr.med. Heinrich K. Geiss, Hygieniker und Infektiologe an der Universität Heidelberg,  zurHistorie der Bekämpfung der Infektionserreger gemachten Vorbemerkungen, aber auch die beispielhafte "Antibiotika-Hausliste", vor allem aber die klaren und kritischen Worte zum rationalen Umgang mit Antibiotika. Im folgenden auszugsweise die wichtigsten Passagen mit min. red. Bearbeitungen. Volltext im LINK.

"Schon die ersten Forschungsarbeiten bei Substanzen zur Bekämpfung von Infektionserregern zeigten, dass Mikroorganismen in der Lage sind, sich der Einwirkung dieser Antiinfektiva durch unterschiedliche Mechanismen zu entziehen. Gleichzeitig erkannten Forscher aber auch, dass dieser Resistenzentwicklung durch Einhalten einiger klarer Therapieprinzipien entgegengewirkt werden kann.

So führte Paul Ehrlich bereits 1910 in einer Veröffentlichung im Lancet über die „Therapia sterilisans magna“ aus, dass die wirksamste Infektionsbehandlung grundsätzlich nach dem Prinzip des „Frapper fort et frapper vite“ erfolgen muss. (Dass es fast 100 Jahre dauerte, bis uns dieser Grundsatz als „Hit early, hit hard“ als neueste Erkenntnis der Sepsistherapie verkauft wurde, könnte einen fast zum Schmunzeln bringen.) In ähnlicher Weise äußerte sich Paul Fleming in seiner Nobelpreisrede 1945, als er das Problem der Unterdosierung von Antibiotika und der daraus folgenden Resistenzentwicklung darstellte und davor warnte, dass ein unkontrollierter Einsatz von Penicillin dieses Medikament früher oder später unwirksam mache.

In den im wahrsten Sinne des Wortes fortschrittstrunkenen 60er- und 70er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts, als man geradezu glaubte, der wissenschaftliche Fortschritt überwinde alle Naturgesetze, gerieten diese Erkenntnisse aber mehr oder weniger in Vergessenheit. Als Beleg hierfür steht die Aussage, die dem US-Surgeon General W. H. Stewart 1967 zugeschrieben wird: „It is time to close the book on infectious diseases. We have basically wiped out infection in the US.“ Unabhängig von der Belegbarkeit dieses Zitates drückt es doch in eindrucksvoller Weise aus, wie die Entwicklung ständig neuer Antibiotikasubstanzklassen die Einstellung von Ärzten und die Allgemeinheit den Umgang mit diesen Medikamenten beeinflusst hat.

Es gibt bis heute keine andere Medikamentenklasse, die – ohne Berücksichtigung des Schadens für den Einzelnen und die Allgemeinheit – dauerhaft so unkritisch und irrational wie Antibiotika eingesetzt wurde. Dass hier irgendetwas grundsätzlich falsch gelaufen ist und uns die postantibiotische Ära mit der Zunahme nicht mehr behandelbarer Infektionen aufgrund multiresistenter Bakterienstämme droht, hat sich ja mittlerweile bis in die allerhöchste Politik herumgesprochen und war sogar auf der Agenda beim sog. G7-Gipfel 2015 im deutschen Schloss Elmau. Dass diese Entwicklung abzusehen war, haben ja bereits zu den Hochzeiten der Antibiotikaneuentwicklung einsame Warner immer wieder gesagt, doch nichts ist schwerer als ernsthafte Probleme wahrzunehmen und im ersten Schritt sein persönliches Verhalten zu ändern, wenn ein übermächtiger Player wie die Pharmaindustrie den Ärzten und der Öffentlichkeit suggeriert, dass alles ja nur halb so schlimm sei. Dass hierbei selbst die  WHO bei der Umsetzung von Gegenstrategien an ihre Grenzen stieß, belegt die Tatsache, dass sie im Rahmen ihrer Millenium-Ziele im Jahr 2000 einen Maßnahmenkatalog zur Bekämpfung des weltweiten Antibiotikamissbrauchs und der Resistenzentwicklung vorgeschlagen hatte und dann 2007 in einem „Progress Report“ mehr oder weniger frustriert feststellte, dass – global gesehen – nichts passiert ist"
http://www.bayerisches-aerzteblatt.de/inhalte/details/news/detail/News/s3-leitlinie-antibiotic-stewardship.html


Beispiel für Antibiotika- Hausliste im Krankenhaus

Tabelle 1: Beispiel für eine Antibiotika-Hausliste [http://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/092-001l_S3_Antibiotika_Anwendung_im_Krankenhaus_2013-verlaengert.pdf].

 

Definition „Antibiotic Stewardship“ und Ziele

AntiBiotic Stewardship (ABS)-Programme sollen und können in Kombination mit Maßnahmen und Programmen zur Infektionsprävention die im Infektionsschutzgesetz genannten Aufgaben übernehmen. ABS-Programme im Krankenhaus haben das Ziel, die Qualität der Verordnung von Antiinfektiva bezüglich Auswahl der Substanzen, Dosierung, Applikation und Anwendungsdauer kontinuierlich zu verbessern, um beste klinische Behandlungsergebnisse unter Beachtung einer Minimierung von Toxizität für den Patienten sowie von Resistenzentwicklung und Kosten zu erreichen.

Substanzen mit guter bis sehr guter Bioverfügbarkeit:

- Fluorchinolone (ohne Norfloxacin)
- Cotrimoxazol
- Doxycyclin
- Metronidazol
- Linezolid
- Rifampizin
- Fluconazol

Fazit und Zusammenfassung

Antibiotika wurden vor rund 70 Jahren für den breiten Einsatz in der Humanmedizin eingeführt und haben sicherlich entscheidend zu den Fortschritten in der modernen Medizin beigetragen. Antibiotika sind – neben den Chemotherapeutika (im Sinne von Onkologika) – die einzige Medikamentenklasse, deren heilende Wirkung durch die Abtötung von lebenden Zellen erreicht wird.

Antibiotika wirken kausal und kurativ, und dies meist bei einer sehr kurzen Therapiedauer. Sie bewirken aber auch bei den betroffenen Mikroorganismen die Initiierung eines natürlichen Prozesses, der diese resistent gegen die betreffende Substanz macht. Einen ähnlichen Vorgang bei Krebszellen kann man auch bei der Anwendung einzelner Chemotherapeutika beobachten. Nur dass das Auftreten von Resistenzen bei Mikroorganismen nicht ein auf einen einzelnen Patienten beschränktes Ereignis bleibt, sondern sich mehr oder weniger schnell ausbreitet und so auch negative Auswirkungen auf die Allgemeinheit hat. 

Antibiotika sind die einzigen Arzneimittel, bei deren Anwendung – und zwar schon von der ersten Tablette oder Dosis an – zukünftige Patienten Schaden durch eine möglicherweise vorliegende Antibiotikaresistenz zugefügt wird. Dieses ethische Dilemma wird beschrieben als das Recht des einzelnen Patienten auf eine Antibiotikabehandlung vs. das Recht zukünftiger Patienten auf eine noch wirksame Therapie ist den meisten Verschreibern von Antibiotika nicht bewusst. Darin liegt sicherlich auch ein Grund, warum das Resistenzproblem lange Jahre ignoriert wurde, aber auch weil die Forschung uns über fast 40 Jahre hinweg ständig neue und immer breiter wirksame Antibiotika zur Verfügung gestellt hat. Seitdem wir aber sozusagen am Ende der Fahnenstange bei der Neuentwicklung von Antibiotika angekommen sind, rückt die drohende postantibiotische Ära immer mehr in den Blickpunkt des Interesses.

Zahlreiche Untersuchungen belegen, dass ca. 30 bis 50 Prozent aller Antibiotika im Krankenhaus (für den niedergelassenen Bereich dürfte das Gleiche gelten) nicht indiziert sind, falsch verabreicht oder zu lange gegeben werden. Neben der immer wieder zu beobachtenden Erwartungshaltung von Patienten hängt dies in erster Linie damit zusammen, dass das ärztliche Wissen über den richtigen Einsatz von Antibiotika stetig und industrieunabhängig auf den neuesten Stand gebracht werden muss.

Genau hier setzt diese Leitlinie an: sie versucht klarzumachen, dass die sachgerechte und rationale antiinfektive Behandlung kein gottgegebenes ärztliches Wissen ist, sondern einer entsprechenden Fort- und Weiterbildung bedarf – und zwar durch industrieunabhängige Veranstaltungen.Antibiotikabehandlung erfordert Spezialwissen, wie dies bei anderen medizinischen Behandlungen selbstverständlich der Fall ist. Nur auf diese Weise kann sichergestellt werden, dass die Verordnung von Antiinfektiva zu besten klinischen Behandlungsergebnissen unter Beachtung der Minimierung von Toxizität für den Patienten sowie von Resistenzentwicklung und Kosten erreicht werden kann.

 

Das Wichtigste in Kürze

--> Antibiotika sind eine besonders kritische Medikamentengruppe.
--> Sie wirken gegen Mikrooganismen, die aber aufgrund ihrer hohen genetischen Flexibilität in der Lage sind, gegen jedes Antibiotikum Resistenzmechanismen zu entwickeln.
--> Durch diese zunehmende Antibiotikaresistenz und das weitgehende Ende der Entwicklung von neuen Antibiotikaklassen droht eine postantibiotische Ära mit dem Aufkommen nicht mehr behandelbarer Infektionen.
--> Antibiotika werden häufig falsch eingesetzt (zum Beispiel bei nicht-bakteriellen Infektionen), was die Resistenzentwicklung beschleunigt. 

 

Das Literaturverzeichnis kann beim Verfasser angefordert oder im Internet unter http://www.bayerisches-aerzteblatt.de/  (Aktuelles Heft) abgerufen werden. Der Autor erklärt, dass er keine finanziellen oder persönlichen Beziehungen zu Dritten hat, deren Interessen vom Manuskript positiv oder negativ betroffen sein könnten."

http://www.bayerisches-aerzteblatt.de/inhalte/details/news/detail/News/s3-leitlinie-antibiotic-stewardship.html


Fallbeispiel

Kasuistik 2.1.10-1: Bild wie Meningitis

Franziska, 3 J, seit 1 d 38,5 °C, zweimal erbrochen, Kopfschmerzen, will nicht aufstehen.

  • Was ist wann zu untersuchen?

Bei Fieber immer an Meningitis denken! Selten, aber gefährlich; bei Kleinkindern sind die klinischen Zeichen (Nackensteifigkeit, Kniekuss) oft unsicher! Die „typischen“ Petechien finden sich nur bei 25 % der Patienten.

  • Welche Kinder sollten wir lieber einweisen?

Nicht mit der Einweisung zögern!

  • Wann können wir ruhig zuwarten?

Nie!

Kasuistik 2.1.10-2: Bild wie Drei-Tage-Fieber

Hendrik, 11 Mo, seit 2 d 39,5 °C; körperliche Untersuchung unauffällig, Allgemeinzustand gut, Urin ohne path. Befund.

  • Was ist wann zu untersuchen?

Körperliche Untersuchung: Gesamteindruck wie krank wirkt das Kind); das entkleidete Kind komplett untersuchen, inkl. Mundhöhle und Ohren; ggf. Urinstix, CRP und Blutbild.

  • Welche Kinder sollten wir lieber einweisen?

Schwer kranke Kinder, Säuglinge/Kinder mit Risikofaktoren (Komorbidität, Umfeld [hier kann oft die Intuition helfen]).

  • Wann können wir ruhig zuwarten?

Ältere, weniger kranke Kinder ohne Risikofaktoren.

  • Welche Therapien sind etabliert?

Ibuprofen oder Paracetamol.

Kommentar:

Beim Drei-Tage-Fieber (Exanthema subitum) ist das Fieber in der Regel nach 3-5 d abgeklungen; danach tritt das (flüchtige) Exanthem auf, wobei keine wesentlichen anderen Symptome bestehen.

Kasuistik 2.1.10-3: Fieber und Bauchschmerzen

Jannik, 6 ½ J, seit 2 d 38,3 °C, am Tag der Vorstellung dreimal Durchfall, lebhafte Darmgeräusche.

  • Was ist wann zu untersuchen?

Oft bestehen Tachypnö/Tachykardie und halonierte Augen.

  • Welche Kinder sollten wir lieber einweisen?

Bei Verdacht auf Appendizitis (selten, aber gefährlich); bei Gewichtsverlust > 10 %; auf jeden Fall kurzfristige Reevaluation!

  • Wann können wir ruhig zuwarten?

Gastroenteritis: Häufig und harmlos.

  • Welche Therapien sind etabliert?

Rehydratation ist vorrangig.

Kasuistik 2.1.10-4: Fieber und Kausalitätsbedürfnis

Kirstin, 10 J, seit 2 Wo subfebrile Temperatur, nachdem sie beim Fußballspielen einen Tritt bekommen hat; jetzt Schmerzen im linken Bein, am Vortag sogar das Training abgebrochen.

Kommentar:

Hier ist Vorsicht geboten: Das Kausalitätsbedürfnis darf nicht unterschätzt werden. Man sollte daher immer programmiert untersuchen, ggf. abwartendes Offenlassen des Falls in geteilter Verantwortung. Extrem rare, aber gefährliche Verläufe sind Osteomyelitis, Leukämie oder Osteosarkom.

Kasuistik 2.1.10-5: Fiebernder Säugling: Urinbefund hat weitergeholfen

Ein 4 Mo alter männlicher Säugling fiebert seit der vergangenen Nacht bis 39 °C. Er trinkt schlechter und ist auffallend quengelig. Die körperliche Untersuchung ergibt außer einem leicht geröteten Rachenring keine pathologischen Befunde. Erste Arbeitshypothese: Virusinfekt. Die Mutter wird gebeten, in den nächsten Stunden einen Urin durch Auffangbeutel zu gewinnen und untersuchen zu lassen. Ergebnis der Harnuntersuchung: Combur-Test: Leukozyten +++, Erythrozyten ++, Nitrit positiv, Keton 80 mg/dl; Zählkammer (Nativharn): Leukozyten 50 µl, Bakterien +++.

Jetzt wird das BE revidiert: fieberhafte Pyelonephritis beim Säugling.

Stichwörter: Säugling mit 39 °C Fieber ohne wesentlichen physikal. Untersuchungsbefund – hochpathologischer Urinstatus – stationäre Einweisung – V. a. Ureterstenose

Kommentar:

Bei Kindern im ersten Lebensjahr muss bei Fieber mit eindeutig pathologischem Harnbefund immer von einer Pyelonephritis ausgegangen werden. Es erfolgt die Einweisung des Säuglings zur weiteren Abklärung und Therapie. In der Klinik wird sonografisch ein erweitertes Nierenbecken rechts und soweit einsehbar ein erweiterter Ureter festgestellt. Es handelt sich um eine Harntransportstörung rechts mit V. a. Ureterstenose oder vesikourethralem Reflux.

Kasuistik 2.1.10-6: Erst Husten und Schnupfen, dann Pneumonie

Ein dreijähriges Mädchen wird in der Praxis vorgestellt; es hat seit dem Vortag Fieber mit Temperaturen bis max. 39,5 °C. An zusätzlichen Symptomen werden von der Mutter Husten und Schnupfen angegeben. Die körperliche Untersuchung ergibt bei der Thoraxauskultation ein verschärftes Atemgeräusch über allen Abschnitten, der Rachen ist etwas gerötet, die Trommelfelle randständig gerötet. Abdomen ohne pathologischen Befund. Das BE lautet: uncharakteristisches Fieber mit Husten und Rhinitis. Es werden ein Mukolytikum, Nasentropfen und ein Antipyretikum verschrieben. Die Mutter wird gebeten, bei persistierendem Fieber das Kind nach 2 d wieder vorzustellen, bei Verschlechterung des Allgemeinbefindens jederzeit.

Zwei Tage später erfolgt bei anhaltendem Fieber eine erneute Vorstellung. Das Mädchen ist appetitlos, trinkt weniger und klagt gelegentlich über Bauchschmerzen. Die Kleine wirkt jetzt krank, es fällt ein blasses Mund-Nasen-Dreieck auf, dazu ein deutliches Nasenflügeln. Bei der Untersuchung der Lunge sind jetzt rechts dorsobasal feinblasige Rasselgeräusche zu auskultieren. Abdomen weiterhin ohne auffälligen Befund. Das BE lautet jetzt: Bild einer rechtsseitigen Pneumonie.

Stichwörter: zunächst uncharakteristisches Fieber – 2 Tage später: Bild einer Pneumonie – antibiotische Behandlung – am 3. Tag Entfieberung und Besserung des Allgemeinbefindens

Kommentar:

Bei diesem eindeutigen Untersuchungsbefund erübrigt sich eine Röntgenuntersuchung. Eine Blutentnahme zur Bestimmung von BSG, Blutbild mit Differenzielblutbild und CRP wird durchgeführt, ist jedoch eher zur Verlaufskontrolle wichtig, denn unabhängig vom später eintreffenden Ergebnis wird umgehend eine antibiotische Therapie mit Amoxicillin eingeleitet.

(Ergebnisse: BSG: 80 mm erste Std; Leukozyten 16 000/µl, Diff-BB: u. a. 82 % Neutrophile, 12 % Lymphozyten; CRP: 96 mg/l bei Normalwert < 5 mg/l – bakterielle Pneumonie). Beim folgenden täglichen telefonischen Kontakt berichtet die Mutter über eine rasche Entfieberung und Besserung des Allgemeinbefindens.

Kasuistik 2.1.10-7: Die Streptokokkenangina war eine Mononukleose

Ein 12-jähriges Mädchen mit Fieber bis 39,3 °C und Halsschmerzen wird an einem Samstag dem Notdienst vorgestellt. Die Tonsillen zeigen sich gräulich schmierig belegt, die Nackenlymphknoten sind schmerzhaft geschwollen. Das Kind gibt ein ausgeprägtes Krankheitsgefühl mit Abgeschlagenheit, starken Schluckbeschwerden und Kopfschmerzen an. Das Bild imponiert als Streptokokkenangina. Eine Behandlung mit Penizillin wird eingeleitet.

Am Montag ist keine Besserung eingetreten. Der Untersuchungsbefund in der Praxis ist identisch mit dem von Samstag. Fraglich leichter Druckschmerz unterhalb des linken Rippenbogens. Keine Hepatosplenomegalie tastbar. Neues BE: Bild einer Mononukleose.

Stichwörter: gräulich-schmierig belegte Tonsillen, Nackenlymphknoten – Bild einer Streptokokkenangina, Penizillinbehandlung – nach 2 Tagen keine Besserung; Vermutung: Mononukleose; Absetzung des Penizillins – laborchemische Bestätigung

Kommentar:

Es erfolgt eine Blutentnahme; folgende auffällige Werte stehen am Abend vom Labor zur Verfügung: GGT 94 U/l (normal: bis 39), GOT 69 U/l (normal: 10-35), GPT 131 U/l (normal: 10-35), LDH 365 U/l (n: 135-270), CRP 21,4 mg/l, im Differenzialblutbild relative Lymphozytose. Die Labordaten weisen eindeutig auf eine Mononukleose hin, so dass die Penizillintherapie sofort beendet wird. Die Epstein-Barr-Virusdiagnostik (EBM-VCA IgM > 160 U/ml (positiv: > 40), EBV-VCA IgG 158 U/ml (positiv > 20) vom nächsten Tag ergibt das Vollbild einer Mononukleose.

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