Mader : Fakten - Fälle - Fotos®
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10.4.8 Unerfüllter Kinderwunsch, Gravidität und Abort

Zusatzinfo

Späte Schwangerschaft

Studien haben außerdem gezeigt, dass auch ein hohes Alter des Mannes einen negativen Effekt hat: Es erhöht ebenfalls die Rate für Fehlgeburten und außerdem das Risiko für verschiedene Krankheiten des Kindes (Autismus, Schizophrenie etc.).


Risiken für eine verminderte ovarielle Reserve

- Familienanamnese: Niedriges Alter bei Eintritt in die Menopause bei der Mutter
- Persönliche Anamnese: Zigarettenrauchen/ Adipositas/ sozio-ökonomische Faktoren (Herkunft, Ethnie)
- Gynäkologische Anamnese (z.B. verkürzte Menstruationszyklen)
(Quelle: Wunder (2015) Die Frau ab 38 mit unerfülltem Kinderwunsch. Medizin für die Frau 2: 6-8)
 

Die Schwangerschaft dauert von der Befruchtung bis zu Geburt durchschnittlich 267 Tage, die üblicherweise ab dem 1. Tag der letzten Menstruation gerechnete Schwangerschaft dauert durchschnittlich etwa 280 Tage oder 40 Wochen, das entspricht 10 Mond-Monaten (statt den 9 Kalendermonaten). Exakt zum berechneten Termin kommen jedoch nur 4 % der Kinder zur Welt. Eine Geburt vor Vollendung der 37. Schwangerschaftswoche wird als Frühgeburt bezeichnet. Kindsbewegungen können ab der 13.-16. SSW bemerkt werden. Das Risiko bleibender Gesundheitsschäden bei Geburt vor Ende der 25. Woche liegt bei rd. 50 %. Weit über die Hälfte aller Schwangerschaften in Deutschland werden als Risikoschwangerschaften klassifiziert (u. a. wegen spätem Kinderwunsch); tatsächlich kommen jedoch 95 % der in Deutschland geborenen Kinder gesund zur Welt.

Während der Schwangerschaft besteht ein erhöhter Bedarf an Schilddrüsenhormonen und Jod. Folsäure wird besonders zu Beginn der Schwangerschaft zur Vorbeugung eines Neuralrohrdefekts benötigt.


In den USA wie in Deutschland ist etwa die Hälfte aller Schwangerschaften ungeplant, so dass eine differenzierte Erhebung der Familienplanung und Verhütung notwendig ist, wenn potenziell teratogene Medikamente verordnet werden. Ca. 6 % der schwangeren Frauen nehmen in den USA potenziell teratogene Medikamente ein.


Mögliche embryotoxische Medikamente

Beispiele für potenziell embryotoxisch bzw. teratogene bzw. zu vermeidende Arzneistoffe:

  • ACE-Hemmstoffe,
  • Angiotensin-II-Antagonisten, Lithium, Psychopharmaka, Tetrazykline, Carbamazepinphenytoin, Co-Trimoxazol, Aciclovir, Nitrofurantoin, Trimethoprim,
  • Aminoglykoside (z. B. Kanamycin),
  • Tetrazykline (absolut ab 15. Wo),
  • Chinolone („Gyrasehemmer“).

Wichtige und aktuelle Infos über das Pharmakovigilanzzentrum Embryonaltoxikologie der Charité:
https://embryotox.charite.de/

 

Merke
Es bleibt eine Herausforderung der hausärztlichen Versorgung, bei Verordnung von potenziell teratogenen Medikamenten eine mögliche Schwangerschaft zu bedenken oder auszuschließen.

DEGAM-Info. in: Hausarzt (2013) 12/13:26


Rötelnimpfung der Frühschwangerschaft

Was tun, wenn eine Frau gegen Röteln geimpft wird und sich danach herausstellt, dass sie zu diesem Zeitpunkt bereits schwanger war?  Ist dies ein Grund für einen Schwangerschaftsabbruch? Dr.med. Andreas H. Leischker untersucht diese Frage in der Zeitschrift Der Allgemeinarzt (2017) anhand umfangreicher Literaturstudien. Es besteht "theoretisch ein Restrisiko für eine Rötelnembryopathie". 
https://www.allgemeinarzt-online.de/a/roetelnimpfung-in-der-fruehschwangerschaft-ein-grund-fuer-einen-schwangerschaftsabbruch-1853992


Mögliche Faktoren für eine Risikoschwangerschaft,

d. h. Gefährdung des Fetus oder der Mutter, beispielsweise durch

  • psychische und soziale Belastungen, genetische Missbildungen und psychische Erkrankungen in der FA, frühere Operationen am Uterus, Rhesusinkompatibilität bei vorausgegangenen Schwangerschaften. Ferner Diabetes mellitus, Hypertonie, Adipositas, Kleinwuchs, Alter < 18 Jahren oder Erstgebärende > 35 Jahre, Vielgebärende (mehr als 4 Kinder), Spätgebärende > 40 Jahre, Mehrlingsschwangerschaften, Alkohol-, Nikotin- oder anderer Drogenkonsum, Z. n. 2 oder mehr Aborten/Abbrüchen, totes/geschädigtes Kind in der Anamnese. Komplikationen bei vorausgegangenen Entbindungen, rasche Schwangerschaftsfolge (< 1 J).

 

Warnsymptome in der Schwangerschaft

Die Gynäkologinnen Löytved-Hardegg und Hösli beschreiben in einem CME-Beitrag in der Zeitschrift Der Allgemeinarzt (2016) die wichtigsten Warnsymptome.
http://www.allgemeinarzt-online.de/a/1787705


Schwangerschaftsabbruch

In Deutschland ist der Schwangerschaftsabbruch nach den §§ 218 ff des Strafgesetzbuches (StGB) mit Freiheitsstrafe bedroht. Die Strafandrohung für Arzt und Schwangere hat jedoch zahlreiche Ausnahmen und Grenzen.

  • § 218a Abs. 1 Fristenlösung mit Beratungspflicht
  • § 218a Abs. 2 Medizinische Indikation
  • § 218a Abs. 3 Kriminogene oder kriminologische Indikation

Notfallkontrazeption

Im Gegensatz zur „Spirale danach“ ist die „Pille danach“ kein Frühabortivum. Die Wirkung von Levonorgestrel (LNG) bei einmaliger Nutzung in der Notfallsituation beruht in einer Blockade bzw. Verzögerung der Ovulation durch die Verhinderung oder Verzögerung des mittzyklischen Anstiegs des luteinisierenden Hormons.

Die „Pille danach“ kann im gesamten Zyklus möglichst ereignisnah angewendet werden. Das Wirkdauerfenster von LNG erstreckt sich bis zu 5 Tagen. Nach Einnahme sollte die Menstruation zum erwarteten Termin einsetzen (Kothé u. Kentenich 2008).

Weitere Informationen http://notfallverhuetung.info


Tabelle.Häufigkeit (Rang) der Beratungsergebnisse »Gravidität und Geburt« in allgemeinmedizinischen Praxen in Österreich, in der Schweiz und in Frankreich/Paris

Beratungsergebnis

Österreich
Braun (1986)
1977–1980

Schweiz
Landolt-Theus (1992)
1983–1988

Frankreich
Sourzac u. Very (1991)
1988–1990

Österreich
Danninger (1997)
1991–1996

Österreich
Fink u. Haidinger (2007)
1989-1999

Gravidität/Geburt

52

120

132

36

58


Extrauteringravidität (EUG)

Ein negativer Schwangerschaftstest schließt im Verdachtsfall eine EUG aus; ein positives Ergebnis verlangt nach weitergehenden klinischen, biochemischen und sonographischen Untersuchungen, um eine ektope Gravidität auszuschließen oder zu bestätigen.

Eine späte Krankheitserkennung kann zur Tubenruptur und zu einem Hämoperitoneum führen, was eine Notfalloperation und die Entfernung des Eileiters notwendig macht.

Merke
Die Identifizierung einer intrauterinen Schwangerschaft im abdominellen Ultraschall schließt die Möglichkeit einer ektopen Schwangerschaft effektiv aus.

Die Sensitivität des transvaginalen Ultraschalls für die endgültige Erkennung einer Tubargravidität liegt bei 90,9 % und die Spezifität bei 89,9 % (Al-Jabri et al. 2010).


Die Symptomtrias aus leichter vaginaler Schmierblutung im 1.Trimenon, ziehenden Unterbauchschmerzen und sekundärer Amenorrhö kann auf eine EUG hinweisen, tritt aber auch im Rahmen einer intakten intrauterinen Gravidität oder im Fall eines Frühaborts auf (Taran et al 2015).


Serumbiochemie

Neben der Sonographie ist auch der Serummarker hCG bei der Beurteilung einer unklaren Schwangerschaftsanlage von Bedeutung. Dabei ist nicht der einzelne hCG-Wert, sondern der Verlauf für das Behandlungsergebnis der Patientin entscheidend. Generell ist davon auszugehen, dass sich bei einer vitalen intrauterinen Schwangerschaft das hCG innerhalb von 48 Stunden etwa verdoppelt. Es sollte aber berücksichtigt werden, dass bei einer vitalen Schwangerschaft der minimale Anstieg innerhalb dieser Zeitspanne bei 35 % liegt. Bewährte Grenzen für den 48 h-Verlauf sind ein Anstieg unter 66 % oder Abfall bis max. 13 % des Ausgangswertes (Taran 2015).


Influenza-Impfung in der Schwangerschaft vgl. Kap. 15.8.5 "Impfmanagement"


Stillen

Metaanalysen vergleichender Kohortenstudien zeigen bei Stillen eine deutliche Risikoreduktion für spätere Erkrankungen wie Asthma bronchiale, atopische Dermatitis, Adipositas. Die SIDS-Sterblichkeit ("sudden infant death syndrome") gestillter Säuglinge ist um 15 bis 36 % geringer. Bei 100 über 6 Monate gestillten Kindern könnten verglichen mit Flaschenernährung 13 Fälle von akuter Otitis media verhindert und das Risiko für akute Gastroenteritis um die Hälfte bis zu einem Drittel reduziert werden. Früher gestillte Jugendlich und Erwachsene schneiden in IQ-Testen, korrigiert für Begleitfaktoren, um 2-3 Punkte besser ab (Prell und Koletzko 2016).


Infertilität beim Mann

Die Ursache eines unerfüllten Kinderwunsches liegt etwa zur Hälfte beim Mann, davon entfällt ein Drittel auf die sogenannte idiopathische Infertilität, schreibt der Urologe Dr. med. Matthias Trottmann in der Zeitschrift Der Allgemeinarzt (2017). Jedes sechste Paar ist in Deutschland derzeit ungewollt kinderlos.
http://www.allgemeinarzt-online.de/a/kinderwunsch-erfuellbar-1813267
 


Fallbeispiel

Kasuistik 10.4.8-1: Tumor kommt gesund zur Welt

Dr. med. R. B. aus W. berichtet: "Eine 20jährige Patientin hatte ich vorher zweimal wegen Bagatellen gesehen. Schließlich beriet ich sie telefonisch wegen dysurischer Beschwerden, Husten und Schnupfen. Symptomatische Fernbehandlung. Die Patientin sollte sich vorstellen, auch einen Urin mitbringen. Das tat sie aber nicht. 1 Monat später wurde ich wegen der dysurischen Beschwerden ins Haus bestellt. Schwangerschaft wird bestritten, doch war andererseits die Regel ausgeblieben. Urinbefund wie bei einem leichten Harnwegsinfekt.Weiter symptomatische Behandlung. 4 Monate danach rief mich die Mutter an: Die Tochter wäre "komisch", hätte eine Oberbauchschwellung. "Schwangerschaft ist ausgeschlossen." Sie hätte erst vor 2-3 Wochen eine Regel gehabt. Ich wollte die Frau sehen, aber sie blieb aus. Noch im selben Monat nächtlicher Anruf wegen fürchterlicher Oberbauchkoliken. Ich versuchte die Sache (mittels im Haus vorhandener Analgetika) per Telefon zu regeln, aber machte mich dann doch bei miserablem Wetter auf den Weg, da sich keine schmerzstillenden Mittel in der Wohnung finden ließen. Ich fand im Oberbauch einen druckdolenten Tumor, hatte den Eindruck eines Gallenblasenempyems. Analgetika i.m. Sofortige Einweisung. Als ich endlich nach fast 1 Stunde daheim wieder angelangt war, teilte mir ein Anrufer aus dem Krankenhaus mit, dass der Tumor inzwischen gesund auf die Welt gekommen wäre und dass es Kind und Mutter prächtig gehe. Ich fühle mich von der Patientenfamilie in unguter Weise hineingelegt. Davon abgesehen sprach der Untersuchungsbefund für alles eher als für eine Gravidität. Die hämischen Äußerungen der Krankenhauskollegen ließen mich angesichts dessen, dass es Mutter und Kind gut ging, kalt. Nur - was wäre passiert, wenn zu Hause in einer Schublade ein Analgetikum gelegen wäre???"

Stichwörter:

  • Dysurie
  • Druckdolenter Oberbauchtumor
  • Schwangerschaft


 

Kommentar:

Diesen Fall kommentiert Prof. R.N. Braun in seinem Buch "Mein Fall" (1994):

Es geht hier um zwei Dinge: erstens darum, dass die Krankheiten (einschließlich der Schwangerschaftskomplikationen) nicht die Lehrbücher lesen, und zweitens um die Vaginaluntersuchung.

Was unter "Mein Fall" geschildert wird, sind ausschließlich Dinge, die jedem von uns "passieren" können. Da wirken die unglücklichsten Umstände so zusammen, dass fast jeder Arzt dadurch auf eine falsche Spur gesetzt wird. Andererseits lehren gerade die "Beichten" in dieser Rubrik, wie uns die Folgen dieses Zusammenwirkens quälen. Und da ist es nicht mit Belehrungen mit erhobenem Zeigefinger getan, man muss sich in die jeweilige Situation voll hineindenken und versuchen herauszubekommen, wie man es anstellen könnte, um es das nächste Mal selbst besser zu machen.

Nun zu den Krankheiten. Ich fragte meine Weiterbildungsärzte stets, wenn ein typischer Fall vorliegt, was sie davon hielten. Sie tippten dann natürlich auf die "dazugehörige" Erkrankung. Das akzeptierte ich mit der Bemerkung: "Ja, es sieht ganz so aus wie ein Fall von ...", fügte aber dann hinzu: "aber was ist es wirklich?" Das muss man sich immer fragen.

Was die Vaginalexplorationen (die sog. gynäkologischen Untersuchungen) angeht, so gibt es einen Bruchteil von Jungärzten, die nicht vom Krankenhausdenken Abschied nehmen können und diese Methode - wie auf der Inneren Medizin - dem Gynäkologen überlassen wollen. Einzelne praktizieren das dann auch später. Es gibt verschiedene Gründe für ein solches Verhalten. Diese Übung rächt sich aber dann, wenn man in der Nacht oder sonst bei einem dringenden Fall unbedingt untersuchen muss, die Untersuchung aber unterlassen zu müssen glaubt, weil man sich dafür nicht für kompetent hält. In diesem Sinne rate ich jedem Weiterbildungsarzt dringend dazu, viel vaginal zu untersuchen - jeder sollte in der Praxis genügend Gelegenheit dazu haben, um sich die nötige Übung anzueignen.

Es ist nun schwer zu sagen, wie man sich selbst unter den geschilderten Umständen verhalten hätte. So mache ich niemals Fernbehandlungen. Aber natürlich gibt es bei mir, wie bei jedem anderen Arzt auch, Ausnahmen.

Ich untersuche stets bei allen auf das Genitale weisenden Symptomen - und das lag ja hier vor - vaginal und/oder rektal. Selbstredend mit Ausnahmen. Wenn ich freilich an eine Gravidität denke, dann rechne ich damit, dass mir in Einzelfällen die Unwahrheit gesagt wird. Aber hätte ich im gegebenen Falle den Angehörigen und der Frau nicht doch vielleicht geglaubt?

Zusammenfassend kann man also sagen, dass diese rezidivierenden Beschwerden im abdominellen Bereich, die nicht wie Komplikationen einer Gravidität ausgesehen hatten, bei denen der Arzt trotzdem immer wieder danach gefragt hatte, wobei die Schwangerschaft stets verneint worden war, sich schließlich als Begleiterscheinungen einer normalen Schwangerschaft erwiesen hatten. Die hämischen Bemerkungen der Krankenhausärzte waren überflüssig. Aber wer zeigt nicht gern auf den Splitter im Auge des Bruders und will den Balken im eigenen Auge nicht wahrhaben?

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