12.1.2 Angst- und Panikstörungen
Zusatzinfo
Wissenswertes
Patienten mit einer Angststörung haben eine ererbte Vulnerabilität oder eine konstitutionelle Disposition für das Auftreten von Angst. Obwohl die Ausbildung einer Panikstörung nicht ausschließlich durch Vererbung erklärt werden kann, scheint dennoch zumindest bei einem Teil der Patienten eine gewisse Angstsensitivität vererbt zu sein. Das Risiko, dass sich zur Panikstörung zusätzlich eine Agoraphobie einstellt, ist erhöht bei Frauen, Unverheirateten, Alleinlebenden, Menschen mit geringer Schulbildung.
Panikstörung
Charakteristisch ist der plötzliche Anstieg des ängstlichen Erlebens innerhalb weniger Minuten mit Erreichen eines Höhepunktes, eine anschließende Abnahme der Angst sowie eine begrenzte Dauer von häufig 20-30 min, gelegentlich auch einmal bis zu 1 h. Nach Abklingen der Symptomatik fühlen sich die Patienten körperlich deutlich erschöpft.
Soziale und generalisierte Angststörung, Panikstörung, spezifische Phobien und Agoraphobie sind in unterschiedlichen Ländern und Kulturen in etwa der gleichen Häufigkeit zu beobachten; dabei sind 2 von 3 Angstpatienten Frauen.
Quelle: Wedekind et al. 2007
Tabelle. Leitlinien zur Diagnostik der Generalisierten Angststörung (GAS) nach ICD-10 (Boerner 2007)
Der Patient muss primäre Symptome von Angst an den meisten Tagen, mindestens mehrere Wochen lang, meist mehrere Monate, aufweisen. In der Regel sind folgende Einzelsymptome festzulegen:
- Befürchtungen (Sorge über zukünftiges Unglück, Nervosität, Konzentrationsschwierigkeiten usw.)
- Motorische Spannung (körperliche Unruhe, Spannungskopfschmerz, Zittern, Unfähigkeit, sich zu entspannen)
- Vegetative Übererregbarkeit (Benommenheit, Schwitzen, Tachykardie oder Tachypnoe, Oberbauchbeschwerden, Schwindelgefühle, Mundtrockenheit etc.)
Ein vorübergehendes Auftreten anderer Symptome während jeweils weniger Tage, besonders von Depression, schließt eine Generalisierte Angststörung als Hauptdiagnose nicht aus. Der Betreffende darf aber nicht die vollständigen Kriterien für eine depressive Episode (F32), phobische Störung (F40), Panikstörung (F41.0) oder Zwangsstörung (F42) erfüllen.
Tab. Vorbemerkungen für den Patienten: Im Folgenden finden Sie eine Aufstellung von Empfindungen, die vorkommen können, wenn man ängstlich ist. Bitte lesen Sie diese Empfindungen sorgfältig durch. Geben Sie jeweils an, wie sehr Sie durch jede dieser Empfindungen in der letzten Woche, einschließlich heute, belastet waren, indem Sie ein Kreuz in der zutreffenden Spalte machen.
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Überhaupt nicht
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Wenig |
Mittel |
Stark |
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Es stört mich nicht sehr |
Es war sehr unangenehm, aber ich konnte es noch aushalten |
Ich konnte es kaum aushalten
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(0) |
(1) |
(2) |
(3) |
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Weiche Knie oder Beine |
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Schwindlig oder benommen |
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Wacklig oder schwankend |
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Zittrig |
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Furchtsam |
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Schwächegefühl |
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Hier bitte nicht ausfüllen 0 + ∑ ______ + ∑ ______ + ∑ ______
= ∑ Gesamt |
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Auswertung des Fragebogens durch den Arzt:
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(0)
nichtÜberhaupt
Notfalltherapie bei Angstzuständen
i.m.-Injektionen von Diazepam sollten wegen der lipophilen Eigenschaften der Substanz vermieden werden: Orale Applikation wirkt schneller (Berzewski 2002).
Psychologische Differenzierung
Unter psychologischen Gesichtspunkten werden bei Angststörungen unterschieden: Furcht, Angst, Phobie und Panik:
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Furcht
Universelle Reaktion auf eine deutlich erkennbare und allgemein akzeptierte Bedrohung. -
Angst
Affektzustand, der durch die Wahrnehmung von Gefahr oder Bedrohung in der Umwelt oder im Individuum ausgelöst wird. -
Phobie
Irrationale Furcht vor bestimmten Objekten, Situationen und Orten mit Vermeidungsverhalten (z. B. Menschenansammlungen, Flugzeuge, Tiere). -
Panik
Abrupt beginnende Episoden intensiver Angst, die innerhalb weniger Minuten ihr Maximum erreicht, mit vielfältigen vegetativen oder Körpersymptomen einhergeht und von Ängsten zu sterben, verrückt zu werden oder vor Kontrollverlust begleitet werden.
Quelle: Berzewski 2002
"German Angst"
Siehe dazu Kap.1.3.3 "Anamnese, Anamnestik, Kontaktfragen, Erste Sätze" in "Mader-Fakten-Fälle-Fotos®"
Erste Schritte in der Hausarztpraxis
Ob Panikattacken oder Phobien: Die meisten Angstpatienten behandelt der Hausarzt. Der Leidensdruck der Patienten ist hoch. Der Psychiater Dr. med. Christian Knöchel rät in der Zeitschrift Der Allgemeinarzt (2017) davon ab, die Symptome des Patienten als unreal oder übertrieben zu bezeichnen.
http://www.allgemeinarzt-online.de/a/erste-schritte-in-der-hausarztpraxis-1813259
Imipramin
Imipramin, eines der international am besten untersuchten Präparate mit nachgewiesener Wirksamkeit bei der Behandlung der Panikstörung (mit Agoraphobie), besitzt in Deutschland keine Zulassung.
Bei Patienten mit Panikstörung hat es sich bewährt, mit der kleinsten Dosis zu beginnen, da bei den meisten Antidepressiva initial eine vorübergehende Zunahme der Ängstlichkeit auftritt (Mikoteit 2009).
Psychopharmakotherapie
Die Psychopharmakotherapie hat aufgrund ihrer hohen Effektivität und guten Verträglichkeit einen Status erlangt, der den empfohlenen psychotherapeutischen Verfahren gleichkommt. Eine Kombination von Pharmako- und Psychotherapie gilt heute allgemein als Strategie der Wahl. Es gibt mehrere hundert kontrollierte Untersuchungen zur Wirksamkeit unterschiedlicher Substanzen; dabei handelt es sich vorrangig um Antidepressiva und Benzodiazepine (Wedekind 2007).
Ausführlich über die Behandlung von Ansttörungen in der S 3-LL "Behandlung von Angststörungen":
Dermatozoenwahn
Der Dermatologe Prof. Dr. med. Uwe Gieler beschreibt mit eindrucksvollen FOTOs in der Zeitschrift Der Allgemeinarzt 2016 den "Kampf gegen eingebildete Schädlinge" - und führt zugleich auch die bescheidenen Therapiemöglichkeiten auf.
http://www.allgemeinarzt-online.de/a/1798966
Tabelle. Physiologische Ängste im Kindesund Jugendalter. (Schmidt u. Blanz 1991)
Alter |
Angstinhalt |
0–6 Monate |
Laute Geräusche |
6–9 Monate |
Fremde |
9–12 Monate |
Trennung, Verletzung |
2. Lebensjahr |
Imaginäre Figuren, Tod, Einbrecher |
3. Lebensjahr |
Tiere (Hunde), Alleinsein |
4. Lebensjahr |
Dunkelheit |
6–12 Jahre |
Schule, Verletzung, Krankheit, soziale Situationen, Gewitter |
13–18 Jahre |
Verletzung, Krankheit, soziale Situationen |
Über 18 Jahre |
Verletzung, Krankheit, Sexualität |