Mader : Fakten - Fälle - Fotos®
Onlineinhalte zum Buch

Zurück zum Inhaltsverzeichnis

12.2.2 Bipolare affektive Störung

Zusatzinfo

Wissenswertes

Die Häufigkeit bipolar affektiver Störungen wird auch heute noch unterschätzt. Die Angaben zur Lebenszeitprävalenz variieren je nach Härte der Diagnosekriterien von 0,55 % (unter Berücksichtigung der DSM-IV-Kriterien) bis zu etwa 3-7 % für das gesamte Spektrum bipolarer Erkrankungen. Etwa 50 % aller bipolaren Patienten sind noch fünf Jahre nach der ersten Phase nicht korrekt diagnostiziert (Schmauß 2009).

 

Polypharmazie bipolarer Patienten

Die Phasenprophylaxe bipolarer Störungen erfordert eine Symptomkontrolle an beiden Stimmungspolen. Die therapeutische Forderung nach einer Stimmungsstabilisierung mit einem einzigen Medikament ist bis heute noch nicht erfüllt. Entsprechend ist die Polypharmazie bipolarer Patienten fester Bestandteil des Praxisalltages. Das Konzept des Stimmungsstabilisierers ist zwar international akzeptiert, gleichwohl gibt es keine allgemein verbindlich akzeptierte Definition, außer dem Nachweis der therapeutischen Wirksamkeit an einem Stimmungspol, ohne neue manische oder depressive Episoden hervorzurufen (Schmauß 2009).

 

Lithium

Lithium wird seit rund 50 Jahren zur Behandlung bipolarer Störungen erfolgreich eingesetzt. Eine Metaanalyse aller randomisierten kontrollierten Langzeitpräventionsstudien belegt, dass Lithium signifikant besser als Plazebo neue manische und depressive Episoden verhindert. Lithium ist das Mittel der Wahl, vor allem bei klassischen euphorischen Manien. Unter den gegenwärtig verfügbaren Stimmungstabilisierern besitzt Lithium eine Sonderstellung wegen seiner antisuizidalen Eigenschaften. Nach Absetzen von Lithium steigt das Suizidrisiko in dem darauf folgenden Jahr überproportional auf das Drei- bis Vierfache vor Beginn der Therapie an und sinkt danach wieder auf die Größenordnung vor Therapie. Die Lithium-Therapie erfordert eine individuelle Dosisanpassung und sollte unter Labormonitoring langsam aufdosiert werden. Das breite Nebenwirkungsspektrum (Blutbild, Nieren, Schilddrüse, Gewichtszunahme sowie kognitive Einschränkungen und neurotoxische Effekte) in Kombination mit Antipsychotika machen ein regelmäßiges Monitoring notwendig (Schmauß 2009).


Fallbeispiel

Kasuistik 12.2.2-1: Unruhe und Weitschweifigkeit

Der 21-jährige Student Marcus K. läuft in der Sprechstunde seines Hausarztes im Arztzimmer auf und ab. Er beklagt Konzentrations- und Schlafstörungen. Neulich sei er durch eine Prüfung gefallen. Auffällig ist neben der psychomotorischen Unruhe, dass er im Gespräch Schwierigkeiten hat, bei einem Thema zu bleiben. Der Vater von Herrn K. leidet seit längerem an einer bipolaren Störung. Der Hausarzt vermutet eine manische Episode und ruft bei einem niedergelassenen Arzt für Psychiatrie und Psychotherapie an, wo er Herrn K. kurzfristig einen Termin vermitteln kann.

Dieser Facharzt bestätigt den Verdacht und beginnt eine antimanische Behandlung. Nachdem Herr K. 10 mg Olanzapin zur Nacht eingenommen hat, kann er seit Wochen erstmals wieder mehrere Stunden am Stück schlafen. Nach einer Woche ist er bereits deutlich ruhiger, der Gedankengang ist aber weiterhin sprunghaft, sodass Olanzapin auf 15 mg zur Nacht erhöht wird. Nach Rückbildung der Beschwerden wechselt Herr K. in Absprache mit dem Psychiater zurück zur ambulanten Behandlung durch seinen Hausarzt, da die Entfernung zu dessen Praxis deutlich geringer ist. Herr K. nimmt Olanzapin als Rezidivprophylaxe zunächst in unveränderter Dosierung weiter ein.

(Kasuistik von F. Schneider und W. Niebling 2008)

Zurück zum Inhaltsverzeichnis

Copyright 2014-2024 • Prof. Dr. med. Frank H. Mader