Mader : Fakten - Fälle - Fotos®
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12.2.4 Das ärztliche Gespräch

Zusatzinfo

Eigenanamnese

Bei der Eigenanamnese sollten alle stressvollen Lebensereignisse sowie massive Eingriffe in soziale Rhythmen im Leben des Patienten eruiert werden; besonders relevant sind solche vor dem 6. Lebensjahr (z. B. Verbrennungen als Kind und Krankenhausaufenthalte), zwischen dem 6. und ca. 21. Lebensjahr (z. B. Tod eines Elternteils, Scheidungserleben) und spätere Lebensereignisse (z. B. längere Arbeitslosigkeit). Je mehr und je früher solche stressvollen Lebensereignisse vorkamen, desto höher ist das Risiko für Chronifizierung (Braus 2010).


Emotionale Intelligenz

Wie man klug mit seinen Gefühlen umgeht und das emotionale Alphabet beherrscht, zeigt in der Zeitschrift Der Allgemeinarzt (2017) Sybille May, Systemischer Coach, und gibt Tipps, wie der Arzt im Gespräch Empathie zeigen kann.
http://www.allgemeinarzt-online.de/a/ich-fuehle-also-bin-ich-1806851


Spezifische Psychotherapieverfahren

  • Kognitive Therapie:
    Erkennung und Bewältigung von pessimistischen oder selbstzerstörerischen Gedanken, die eine Depression verursachen oder unterhalten. Als „kognitive Fehler“ werden bei depressiven Patienten häufig unangemessene Verallgemeinerungen, Personalisierung, emotionales Denken oder Schwarz-Weiß-Denken identifiziert.
  • Verhaltenstherapie:
    Wird gerne mit kognitiver Therapie kombiniert; sie soll die Aktivitäten des Patienten stärken und jenes Verhalten schwächen, das die Depression unterhält.
  • Problemlösungstherapien:
    Dadurch soll der Patient erlernen, aktuelle Lebensschwierigkeiten zu bewältigen, indem große Probleme zerlegt werden und je einzeln nach einer positiven Bewältigung gesucht wird.
  • Interpersonelle Psychotherapie:
    Speziell für die Depressionsbehandlung entwickelte Kurzzeitpsychotherapie; sie fokussiert besonders auf die psychosozialen und interpersonellen Aspekte depressiver Erkrankungen (z. B. Bewältigung von Trauer, Rollenwechsel, Lebensveränderungen und zwischenmenschliche Konflikte). Wird derzeit von den gesetzlichen Kassen nicht erstattet.

(Quellen: Whooley u. Simon 2000; Bschor u. Adli 2008)


Schritte der partizipativen Entscheidungsfindung (NVL Depression 2009)

Schritt 1
Aufklärung über Diagnose, Verlauf und Prognose der Erkrankung sowie Angebot einer partizipativen Entscheidungsfindung.

Schritt 2
Gleichwertigkeit der möglichen Behandlungsoptionen betonen.

Schritt 3
Behandlungsmöglichkeiten und Risiken beschreiben.

Schritt 4
Explorieren von Verständnis, Gedanken und Befürchtungen des Patienten.

Schritt 5
Erwartungen und unterschiedliche Entscheidungspräferenzen erfassen.

Schritt 6
Entscheidung besprechen, treffen oder aufschieben.

Schritt 7
Folgevereinbarung treffen.


Motivation und Adhärenz

Geht es im ärztlichen Gespräch eher um Motivation und Adhärenz, so nimmt der betreuende Arzt eine aufklärende, beratende und begleitende Position ein. Damit können Unklarheiten bzw. etwaige Ängste ergründet werden; zugleich lassen sich ärztliches Wissen und Erfahrung vermitteln, damit ein vertrauensvolles Verhältnis aufgebaut werden kann.
Zur Gesprächsführung eignet sich die OARS-Methode:
- Offene Fragen stellen
- Affirmation
- Reflektierendes/aktives Zuhören
- Summieren und zusammenfassen

Die Zielfindungsprozesse lassen sich nach dem SMARZ-Prinzip formulieren:
- Spezifisch
- Messbar
- Akzeptiert
- Realistisch
- Terminiert

Zu Adhärenz vgl. Mader: Fakten-Fälle-Fotos© Kap. 15.1


Choosing wisely

oder "Gemeinsam klug entscheiden" siehe Kap. 15.1. 4 in "Mader/ Riedl: Allgemeinmedizin und Praxis" sowie in "Mader: Fakten  - Fälle - Fotos"
http://www.fakten-faelle-fotos.de/index.php?content=2&ivz_id=524&anker_nr=359


Burnout

Der ursprüngliche Begriff des Burnout ("Durchbrennen von Reaktorstäben infolge zu geringer Kühlung oder zu hoher Wärmeerzeugung") wurde in den 1970er Jahren von dem deutsch-amerikanischen Psychoanalytiker Herbert Freudenberger auf die Psyche übertragen : Burnout ist demnach ein Begriff "für eine Krankheit, bei der Idealismus, Arbeitseifer und Begeisterung schwinden und zeitgleich körperliche Beschwerden auftreten wie Dauermüdigkeit, Magenschmerzen, Schlafstörungen. Burnout trifft vor allem Menschen in helfenden Berufen, die mit besonders hohem Anspruch gestartet sind, aber auch Menschen, denen die berufliche Anerkennung versagt bleibt (Funk 2004).

Burnout entzieht sich der Operationalisierung durch Experten bzw. von außen, eben weil Burnout genuin der Betroffenenperspektive entspricht. Es ist ein im Moment zeitgemäßes subjektives Störungs-bzw. Krankheitsmodell. Jeder Versuch, daraus einen objektiven Tatbestand zu generieren, führt zwangsläufig zu argumentativen Verbiegungen (Hillert und Bäcker 2015).

Das „Burnout-Syndrom“ ist international nicht als Krankheit anerkannt, sondern gilt als Anpassungsproblematik auf der Basis von Konflikt- und Lebensbewältigung, insbesondere durch Konflikte oder Überlastung am Arbeitsplatz. Die Betroffenen fühlen sich körperlich, emotional und geistig erschöpft. „Zum Burnout gehören stets zwei Akteure: außer vielen Einflüssen einer stressigen Umwelt auch eine komplizierte Persönlichkeitsstruktur des Betroffenen. Am Beginn des Prozesses ist meist nur eines von beiden problematisch, aber es kommt dadurch zu einer Unausgewogenheit, einem Konflikt“ (Seidel 2011).


Tabelle: Diagnostische Abgrenzung des Burnoutsyndroms (mod. Känel R (2008) Praxis. 97(9):477.487)

Psychiatrische/Psychsosomatisch

Somatisch

Depressive Episode

Anämie, Eisenmangel

Chronische Fatigue

Hypothyreose

Generalisierte Angststörung

Herz-/Niereninsuffizienz,  COPD

Panikstörung

Borreliose, HIV, TBC

Somatisierungsstörung

Diabetes mellitus

Somatoforme Schmerzstörung

Leukämie, Lymphome

Neurasthenie

Entzündliche Systemerkrankung

Dysthymie

Degenerative ZNS-Erkrankungen

Dekompensierte Persönlichkeitsstörung

Restless-Legs-Syndrom

Schlaf-Apnoe-Syndrom

 

Das ärztliche Gespräch bei Erstdiagnose Diabetes mellitus

Der Hausarzt muss bei der Übermittlung einer einschneidenden chronischen Krankheit besonders feinfühlig vorgehen und die Unsicherheit, den Verlust von Selbstwertgefühl und Selbstkontrolle des Patienten berücksichtigen und seine unterschiedlichen Reaktionsmusterberücksichtigen, schreibt der Allgemeinarzt Dr. med. Manfred Schnellbächer in der Zeitschrift Der Allgemeinarzt (2017).
http://www.allgemeinarzt-online.de/a/den-patienten-emotional-begleiten-1807599
 


Das ärztliche Gespräch im Trauerfall

Ute Jürgens, Coach und Seminarleiterin, empfiehlt in der Zeitschrift Der Allgemeinarzt (2017) im Trauerfall im Praxisumfeld, der Trauer mehr Raum zu geben und gibt Vorschläge für Trauerrituale beim Tod eines Kollegen.
http://www.allgemeinarzt-online.de/a/der-trauer-raum-geben-1804239


Das ärztliche Gespräch bei Krebs

Wie kann dem Patienten eine umfassende Aufklärung und eine selbstbestimmte Therapieentscheidung ermöglicht werden? Die Zeitschrift Der Allgemeinarzt (2017) befasst sich mit einer Arbeit aus dem BMJ.
http://www.allgemeinarzt-online.de/a/der-ethische-wert-der-chemotherapie-1805702


Das ärztliche Gespräch in 6 Schritten

Das SPIKES-Protokoll ist Gegenstand eines Berichts über Gesprächsführung, insbesondere bei Überbringung von schlechten Nachrichten, wie die Zeitschrift Der Allgemeinarzt (2021) 5: 60-62 schreibt
https://allgemeinarzt.digital/epaper-data/Der-Allgemeinarzt-2021_5/60/index.html
https://allgemeinarzt.digital/epaper-data/Der-Allgemeinarzt-2021_5/64/index.html


Fallbeispiel

Kasuistik 12.2.4: Sachbearbeiter: "Ich habe mich unter Druck gesetzt"

Ein Sachbearbeiter berichtet beim Hausarzt: "Und da habe ich das gemacht, was früher die Vorgesetzten gemacht haben: Ich habe mich dazu gebracht, immer effektiver zu arbeiten. Ich habe mich selber unter Druck gesetzt. Das ist natürlich die optimale Form, ist doch klar. Kein Vorgesetzter kann mich so unter Druck setzen wie ich mich selber, das ist doch klar. Weiß ich doch auch. Aber Sie kommen ja nicht raus aus dem Prozess. Das ist eben so. Sie sind gezwungen, effektiver zu arbeiten, oder Sie schaffen es nicht. Sie schaffen das Volumen an Arbeit nicht früher als andere. Und keiner will doch der erste sein, der sagt, ich schaffe es nicht."

Kommentar:

Neu ist nicht, dass steigende Anforderungen als Belastung wirksam werden (können), neu ist, dass die Beschäftigten dafür sorgen müssen, dass Anforderungen und Ressourcen zusammen passen. Die Beschäftigten bekommen bestimmte Freiheiten und Beteiligungsmöglichkeiten, können diese aber nicht wirklich "eigensinnig" nutzen, sondern müssen diese dafür einsetzen, mit einer "systematischen Überlastung" halbwegs zurecht zu kommen.
(Quelle: Nach einer Kasuistik in Kratzer 2012)

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