12.3 Somatoforme Störungen
Zusatzinfo
Tabelle. Definition der „somatoformen autonomen Funktionsstörung“ (F45.3) nach ICD-10
A |
Symptome der autonomen (vegetativen) Erregung, die von dem Patienten einer körperlichen Krankheit in einem oder mehreren der folgenden Systeme oder Organe zugeordnet werden Herz und kardiovaskuläres System Oberer Gastrointestinaltrakt (Ösophagus und Magen) Unterer Gastrointestinaltrakt Respiratorisches System Urogenitalsystem |
B |
Zwei oder mehr der folgenden vegetativen Symptome Palpitationen Schweißausbrüche (heiß oder kalt) Mundtrockenheit Hitzewallungen und Erröten Druckgefühl im Epigastrium, Kribbeln oder Unruhe im Bauch |
C |
Eines oder mehr der folgenden Symptome Brustschmerzen oder Druckgefühl in der Herzgegend Dyspnoe oder Hyperventilation Außergewöhnliche Ermüdbarkeit bei leichter Anstrengung Aerophagie, Singultus oder brennendes Gefühl im Brustkorb oder im Epigastrium Bericht über häufigen Stuhlgang Erhöhte Miktionsfrequenz oder Dysurie Gefühl der Überblähung oder Völlegefühl |
D |
Kein Nachweis einer Störung von Struktur oder Funktion der Organe oder Systeme, über die die Patienten klagen |
E |
Häufigstes Ausschlusskriterium: Die Symptome treten nicht ausschließlich im Zusammenhang mit einer phobischen (F40.0–F40.3) oder einer Panikstörung (F41.0) auf |
Erstkonsultation beim Bild einer somatoformen Störung
Der Allgemeinarzt Dr. med. Reto Schwenke schildert in der Zeitschrift Der Allgemeinarzt (2017) anhand einer Kasuistik (einschl. Verlauf) seine gezielten Fragen bei einer 45- jährigen Patientin, die über multiple Beschwerden klagt.
http://www.allgemeinarzt-online.de/a/frueh-die-weichen-stellen-1808801
Burnout-Syndrom (Z73)
Wissenswertes
Krankenschwestern und Angestellte eines Industrieunternehmens waren die Ersten, an denen 1974 in den USA Burnout-Erscheinungen wahrgenommen wurden. Nur ein paar Jahre später legte die Monographie „Die hilflosen Helfer“ (Wolfgang Schmidbauer) in Deutschland den Grundstein für das Verständnis von Leid und Frustrationen derer, die in ihren Berufen damit beschäftigt sind, Leid und Frustrationserfahrungen anderer zu lindern.
Das „Burnout-Syndrom“ ist für die ICD-10 keine Krankheit, sondern eine gewöhnliche Bedingung für die Entstehung von Krankheiten.
Es handelt sich um einen schleichenden Prozess, der sich über Jahre hinzieht. Am Anfang stehen Müdigkeit und Enttäuschung. Hinzu kommen diverse Körpersymptome (z. B. Kopfschmerzen, Schlafstörungen), andererseits Unzufriedenheit und Ärger. Im Endstadium ist die Resignation z. T. in völlige Erstarrung oder quälende innere Unruhe übergegangen.
Eine wichtige Rolle scheint auch die Art der Einführung von Berufsanfängern in ihre Tätigkeit zu spielen.
(Quelle: Barocka 2007)
Besondere Situation des Arztes
- Mitleiden: Enge therapeutische Beziehung zum Patienten bzw. zu seinen Angehörigen, deren Leid auf den Arzt übergehen kann.
- Direkte Traumatisierung: Akutsituationen mit Schwerverletzten, Sterbenden, Leichen. Überschneidungen zu posttraumatischen Belastungsstörungen.
- Rollenerwartungen: Eigene Gefühle nicht zeigen, eigene Bedürfnisse zurückstellen.
- Partnerkonflikte, Scheidung: Durch berufliche Überlastung.
- Gesellschaftlicher Status: Negativ veränderte soziale Rolle des Arztes in der Gesellschaft.
- Massiver sozioökonomischer Druck.
(Quelle: Barocka 2007)
Abb. WHO-Fragebogen zum Wohlbefinden und zur Einschätzung des eigenen Stressstatus. Wer die höchste Punktzahl (25) erreicht, muss sich keine Sorgen um Burnout machen. Bei 10 oder weniger Punkten wird es schon bedenklich (Quelle: Workshop „Gesundheitscoaching statt Burnout“, 10. TdA Heidelberg)
In den letzten zwei Wochen |
die ganze Zeit |
meistens |
etwas mehr als die Hälfte der Zeit |
etwas weniger als die Hälfte der Zeit |
ab und zu |
zu keinem Zeitpunkt |
… war ich froh und guter Laune |
5 |
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0 |
… habe ich mich ruhig und entspannt gefühlt |
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… habe ich mich energisch und aktiv gefühlt |
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… habe ich mich beim Aufwachen frisch und ausgeruht gefühlt |
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… war mein Alltag voller Dinge, die mich interessieren |
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1 |
0 |
Aspekte der Behandlung in der multikulturellen Allgemeinpraxis
- Grundlage ist eine offene, interessierte und respektvolle Einstellung.
- Kenntnis der eigenen kulturellen Identität einschl. impliziter Vorurteile.
- Idioms of Distress erkennen: d. h. typische Ausformungen verschiedener Krankheitsbilder in bestimmten Kulturräumen; anderenfalls werden eigentlich zusammengehörende Symptome verschiedenen Syndromen zugeordnet und dabei weder Schwere noch Botschaft der Klage angemessen wahrgenommen.
- Arbeit mit Kulturvermittlern, diese fungieren auch als Dolmetscher.
- Zugang verschaffen zu Symptomen und Krankheitsverständnis des Patienten (z. B. dessen Einstellung zu medizinischer Autorität und psychiatrischer Therapie. Erkennen drohender Stigmatisierung).
- Ausarbeiten kultursyntoner Interventionen und akzeptabler Erklärungen.
(Quelle: Koch u. Müller 2007)
Tabelle. Empfehlungen zu Haltung und Setting (Sauer u. Eich 2007)
Gelassene Haltung
- Sachliche, aber empathische, ernst nehmende Atmosphäre.
- Impuls zu raschem Handeln nicht nachgeben (nicht [mit]-agieren).
- Befragung dient dem besseren Verständnis, nicht der sofortigen Lösung.
- Druck des Patienten nicht übernehmen.
- Sich nicht von sozialen Problemen überschwemmen lassen.
Klares Setting
- Klare zeitliche Begrenzung: Zur Verfügung stehende Zeit vorher ankündigen, Struktur der Befragung einhalten, einen Termin nicht überlasten.
- Zeit lassen, d. h. ggf. weitere Termine ausmachen.
Leitlinie für Ärzte
S3-LL von 2012 "Nicht-spezifische, funktionelle und somatoforme Körperbeschwerden, Umgang mit Patienten"
http://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/051-001.html
Patientenleitlinie
Praktische und hilfreiche Tipps auch für den behandelnden Hausarzt vermittelt die Patientenleitlinie "Mein Arzt findet nichts - sog. nicht-spezifische, funktionelle und somatoforme Körperbeschwerden. LL für Betroffene und ihre Angehörigen"
http://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/051001pl_S3_Nichtspezifische_funktionelle_somatoforme_Koerperbeschwerden_2012-12.pdf
Fallbeispiel
Kasuistik 12.3-1: "Atemnot, Husten, Schweiß und Herzrasen"
Der Allgemeinarzt Dr. med. Reto Schwenke schildert in der Zeitschrift Der Allgemeinarzt (2017) einen Fall aus seiner Praxis: Eine 45- jährige Patientin kommt zum ersten Mal in seine Praxis mit einem Bündel uncharakteristischer Beschwerden. "Die wichtigste Voraussetzung, um diesen Patienten helfen zu können, ist das Erkennen der somatoformen Beschwerdeursache möglichst bereits bei der Erstkonsultation. Lesen Sie, wie Dr. Schwenke den Fall geführt hatte.
http://www.allgemeinarzt-online.de/a/frueh-die-weichen-stellen-1808801