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12.5.3 Demenzen

Zusatzinfo

Wissenswertes

Etwa zwei Drittel der dementen Patienten werden neuropathologisch als Alzheimer-Demenz diagnostiziert. Dafür müssen zur Bestätigung des klinischen Verdachts postmortal hohe Zahlen von sog. Alzheimer-Plaques und intraneuronalen Alzheimer-Neurofibrillen mit erheblicher zerebraler Ausbreitung nachgewiesen werden.

Ältere demente Patienten leiden selten unter rein vaskulären Demenzen (etwa 15-20 % der Dementen), sondern meistens (zu etwa 80 %) unter einer Mischform von vaskulärer und Alzheimer-Demenz, wobei die Hinweise auf neurogenerative Veränderungen in CT und MRT meist fehlen.

(Quelle: Mader/Landendörfer/Förstl 2009)


Hausärztliche Diagnostik

Der neurologische Oberarzt Dr. med. Egli gibt dem Hausarzt in der Zeitschrift Der Allgemeinarzt 2016 Hilfestellung: Wie stelle ich eine Demenz fest?
http://www.allgemeinarzt-online.de/a/1797022


Tabelle. Anamnese-Checkliste für den Hausarzt beim Bild einer Demenz (Mader/Landendörfer/Förstl 2009)

Checkliste Anamnese:

Informationsverarbeitung

  • Patient wiederholt sich
  • Erinnerung gestört
  • Suchen verlegter Gegenstände

Durchführen komplexerer Handlungen

  • Mühe komplexeren Gedanken zu folgen, z. B. Formular ausfüllen, Essen kochen

Problemlösung und Sozialverhalten

  • Mühe mit neu auftretenden Problemen, z. B. wenn das Essen anbrennt oder das Badewasser überläuft
  • Patient kümmert sich nicht um ansonsten übliche soziale Umgangsformen

Räumliche Orientierung

  • Patient hat Schwierigkeiten beim Spazierengehen wieder heimzufinden
  • findet sich in eigentlich vertrauter Umgebung nicht mehr zurecht

Sprache

  • Fehlen der „richtigen“ Worte
  • kann einem Gespräch nicht mehr ohne weiteres folgen

Verhalten

  • Ungewohnte Passivität und Verlangsamung
  • Emotionale Veränderung, z. B. Misstrauen und Aggressivität
  • Fehlinterpretation visueller und akustischer Stimuli

Medikamente, die eine Demenz verschlechtern können

  • Anticholinergika
  • Anti-Parkinson-Medikamente
  • Antidepressiva, insbes. tri- und tetrazyklische
  • Antipsychotika
  • Hypnotika, bes. Benzodiazepine, Barbiturate
  • Antikonvulsiva
  • Antihistaminika
  • Kardiaka, wie Kalziumagonisten, Alpha-2-Agonisten, Digitalisglykoside
  • Opioide
  • Zytostatika
  • Kortikosteroide
  • Antibiotika, wie Mitronidazol, Chinolone, Tuberkulostatika
  • Muskelrelaxantien, wie Baclofen

Potentielle Risikofaktoren

  • Demenz bei Verwandten 1. Grades
  • Vorangegangene Kopfverletzungen
  • Eingeschränkte Schulbildung
  • Abusus, z. B. Alkohol, Medikamente, Nikotin
  • Vaskuläre und kardiale Erkrankungen, insbes. Schlaganfall, arterielle Hypertonie
  • M. Parkinson
  • Metabolische Störungen, wie Diabetes mellitus, Hypercholesterinämie, Hyperhomocysteinämie

Körperliche Untersuchung

Besonders zu beachten sind Blutdruck, peripherer Pulsstatus, Anzeichen für kardiale oder respiratorische Insuffizienz, neurologischer Status einschl. der Hirnnerven vor allem hinsichtlich einer Seh- oder Hörschwäche, die an den kognitiven Reserven zehren können.

 

Merke
Die Kooperation der älteren Patienten ist oftmals begrenzt. Daher ist es ratsam, den Zeit- und Organisationsaufwand der nötigen Untersuchungen auf ein Minimum zu beschränken.


Tabelle. Labordiagnostische Routine- und Spezialparameter in der Hausarztpraxis beim Bild einer Demenz (Mader/Landendörfer/Förstl 2009)

Routinelabor:

Blutbild

Blutsenkung

Natrium

Blutzucker

Kalium

Kreatinin

Kalzium

Harnstoff

GPT

Gamma-GT

TSH

Urin-Teststreifen

Folsäure

Vitamin B 12

 

 

Laborparameter bei entsprechenden Verdachtsmomenten:

HIV-Test

Luesserologie

Borrelientiter

Homocystein

Medikamentenspiegel
(z. B. Test auf Benzodiazepine)

 

 

Weitere technische Untersuchungen dienen vor allem der Diagnostik vaskulärer Demenzformen. Das EKG dient dem Erkennen von Rhythmusstörungen wie z. B. Flimmerarrhythmien und Bradykardien. Bei entsprechendem Verdacht kann die Durchführung eines 24-Stunden-Langzeit-EKGs sinnvoll sein.


Hinweis

Die nachfolgenden Tests werden ausführlich bezüglich Durchführung und Aussagekraft beschrieben in P. Landendörfer: Gedächtnisstörungen. Diagnostik – Behandlung – Betreuung. Kirchheim-Verlag 2010. ISBN 978-3-87409-480-1


Uhrentest (mod. n. Sunderland et al. 1989)



 

Auswertung:

In Schwerpunktambulanzen liegt die Sensitivität bei 90 %, die Spezifität bei 56 %, der positive prädiktive Wert bei 84 % und der negative prädiktive Wert bei 69 %. Sein Nutzen bei der Abgrenzung zur leichten kognitiven Beeinträchtigung ist fraglich (Eschweiler et al. 2010).

Eine allgemein akzeptierte Auswertung und Interpretation gibt es nicht. Weit verbreitet sind die Shulman-Kriterien: Der Cut-off-Wert liegt dabei zwischen 2 und 3 Punkten. Unter 3 Punkten ist eine Demenz wahrscheinlich.


Demenz-Detektions-Test (DemTect)




 

Auswertung:

Die Sensitivität ist gut und liegt bei 85 % für eine leichte kognitive Beeinträchtigung und bei 83 % für eine Alzheimer-Demenz. Der Test hat sich in Deutschland bewährt, wird aber international nicht eingesetzt (Eschweiler et al. 2010).

Max. erreichbare Punktzahl: 18. Demenzverdacht bei ≤ 8 Punkten. Leichte kognitive Beeinträchtigung: 9-12 Punkte.


Mini-Mental-Status-Test (MMST)




 

Auswertung:

In Studien im allgemeinärztlichen Bereich hat der MMST eine Sensitivität von 78 %, eine Spezifität von 88 %, einen positiven prädiktiven Wert von 54 % und einen negativen prädiktiven Wert von 96 % (Mitchell 2009). Damit reicht der MMST im hausärztlichen Bereich zumeist zum Ausschluss einer Demenz (Eschweiler et al. 2010).


Test zur Früherkennung einer Demenz mit Depressionsabgrenzung (TFDD)




 

Auswertung:

Die Auswertung der beiden Testteile erfolgt getrennt. Cut-off-Wert für den Demenzteil: ≤ 35 Punkte. Addition der Punkte für den Depressionsteil: bei ≥ 8 Punkten Verdacht auf depressive Symptomatik.


Tabelle. Dringliche Indikationen für die Durchführung eines kranialen CT oder MRT (Förstl u. Calabrese 2011; Förstl u. Einhäupl 2002)

  • Demenz schreitet rasch voran
  • Kopfverletzung in der Kurzzeitanamnese
  • Ungeklärte neurologische Symptomatik (z. B. Krampfanfälle)
  • Neu aufgetretene fokale Symptome (z. B. Babinski-Reflex, Hemiparese)
  • Krebsleiden in der Anamnese (insbesondere metastasierende Karzinome)
  • Hinweise auf Antikoagulanzieneinnahme oder Blutgerinnungsstörung
  • Atypischer Verlauf, atypische kognitive Symptomatik (z. B. rasch zunehmende Aphasie)

Weitere Informationen:

www.alzheimer-forschung.de


Kognitive Demenz-Symptome

  • Amnesie
  • Aphasie
  • Apraxie
  • Agnosie
  • Agrafie
  • Alexie
  • Akalkulie
  • Störungen des Urteilsvermögens
  • Störungen des Abstraktionsvermögens
  • Störungen der Visuokonstruktion

 

Nicht-kognitive Demenz-Symptome (ohne somatische Symptome)

  • Depressivität
  • Ängstlichkeit
  • Maniformität (Gehobenheit)
  • Affektlabilität
  • paranoide Wahnvorstellungen
  • illusionäre Verkennungen
  • Halluzinationen
  • Abulie (Apathie)
  • Agitiertheit (Unruhe)
  • Umherlaufen („Wandering“)
  • Aggressivität
  • Schreien

(Schröder 2006)


Frühdiagnostik und Therapie

Eine Demenz ist ein klinisches Syndrom und liegt vor, wenn es über einen Zeitraum von mindestens sechs Monaten zu einer Abnahme der kognitiven Leistungsfähigkeit in mehr als einer kognitiven Domäne kommt und dies zu einer Beeinträchtigung der Alltagsaktivitäten bei den Betroffenen führt. Das Bewusstsein und die Sinneswahrnehmung sind nicht beeinträchtigt  (siehe FOTO in diesem Kapitel).

Ist eine frühe Diagnostik bei Demenz sinnvoll? Warum ist die Bildgebung hierbei so wichtig? Welche Diagnostik-Tests stehen für die Hausarztpraxis zur Verfügung und warum ist die Kenntnis der Lewy-Körperchen-Erkrankung wichtig? Die Übersichtsarbeit von PD Patrick Jungund Prof.Dr. Klaus Lieb in der Zeitschrift Der Allgemeinarzt (2017) vermittelt unter Berücksichtigung der aktuellen S3-Leitlinie und neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse einen guten Überblick darüber, wie in der Hausarztpraxis bei Diagnostik und Therapie der Demenz schrittweise vorgegangen werden kann.
https://www.allgemeinarzt-online.de/a/demenzdiagnostik-und-therapie-was-ist-wichtig-in-der-hausarztpraxis-1852296
 

Diagnostik der Alzheimer-Krankheit im Spezialbereich

  • Stadium I: Amyloid-Pathologie (Amyloid-Imaging; erniedrigtes Beta-Amyloid im Liquor).
  • Stadium II: Zusätzlich Neurodegeneration (Nervenzellschädigung = Anstieg von tau im Liquor; Veränderungen der Hirnfunktionen im PET, evtl. Atrophie).
  • Stadium III: Zusätzlich klinische Symptome.

(McKhann et al. 2011)

Das bedeutet, dass der Patient die Alzheimer Krankheit (also die Hirnveränderungen) bereits hat, wenn die biologischen Marker nachgewiesen werden.


Merke
„Bei einem > 60-jährigen dementen Patienten braucht die Frage nach ‚Alzheimer‘ nicht gestellt werden, weil der Betreffende sowieso darunter leidet. Die Frage ist eher: Worunter leidet der Patient zusätzlich?“ (Pers. Mitteilung Prof. H. Förstl 10.4.2012)
 

Neuroleptika: Absetzversuch lohnt sich

Neuroleptika werden vor allem in Pflegeheimen bei Demenzpatienten gerne eingesetzt, um AggressivitätUnruhe und Schlafstörungen entgegenzuwirken. Das Problem: Diese Medikamente sind in dieser Indikation häufig gar nicht zugelassen. Zudem erhöhen sie die Sterblichkeit und fördern die Sturzneigung. Alles gute Gründe, einen Absetzversuch zu wagen. Dabei ist auch eine Dosisreduktion als Erfolg zu werten, schreiben die Geriater Prof.Dr.med. Klaus Hager und Dr.med. Olaf Krause in der Zeitschrift Der Allgemeinarzt (2017) und belegen dies mit einer Kasuistik.
https://www.allgemeinarzt-online.de/a/neuroleptika-bei-demenzpatienten-absetzversuch-lohnt-sich-1852300


Fallbeispiel

Kasuistik 12.5.3-1: "Krebs ja. Aber dement? Nie, mein Mann!“

Völlig aufgelöst ruft die Ehefrau eines Hausarztinternisten ihre beste Freundin an. „Du, mein Mann ist dement. Für mich bricht eine Welt zusammen. Mit Krebs oder ähnlich Schlimmem habe ich gerechnet, aber mit 63 dement? Mein Mann? Niemals!“ Den Praxismitarbeitern sei vor 8 Wochen erstmals aufgefallen, dass der Chef „so merkwürdig“ sei. So hätten sie ihn beispielsweise vom Fenster aus beobachtet, wie er auf dem Weg zu einer Hausbesuchstour die hintere Seitentür seines Praxiswagens geöffnet und sich auf die Rücksitze gesetzt hätte und dort ganz verloren nach dem Lenkrad und der Schaltung gesucht habe. Auch die Patienten hätten schon das eine oder andere Mal getuschelt. Schließlich ging die Frau mit ihrem Mann zu einem Neurologen, der ein paar Fragen stellte und in der zweiten Sitzung eine Demenz diagnostizierte. „Unsere ganze Lebensplanung bricht zusammen. Wir werden jetzt als erstes unser versetzt geschossiges Haus behindertengerecht umbauen müssen.

Stichwörter: Verhaltensauffälligkeit – Erstdiagnose „Demenz“ – letztlich „Gehirntumor“

Kommentar:

Auf welche Weise der Kollege aus der Neurologie zur "Diagnose" einer Demenz kam, ist nicht bekannt. Ein Demenztest wurde jedoch nach sicherem Wissen der Ehefrau nicht durchgeführt. Landendörfer postuliert unmissverständlich: "Wie beim Thoraxschmerz ein EKG zur Abklärung eines Herzinfarktes erforderlich ist, so ist beim geringsten Verdacht auf eine Demenz ebenso zwingend ein einfacher kognitiver Test durchzuführen" (Landendörfer 2010). Im Interesse von Patient und Ehefrau ist jedenfalls nur zu hoffen, dass der Spezialist vorsichtig und angemessen seine konsequenzenreiche Einschätzung überbracht hatte.

Die beste Freundin war zunächst genauso erschüttert und ratlos, riet aber dann zu einer Zweitmeinung in einer Memory-Ambulanz. Dort wurde nach ausführlichen Tests ein kraniales MRT veranlasst. Ergebnis: Tumor an zentraler Stelle. Überweisung zum Neurochirurgen. Ein besonders tragischer Fall von einem unabwendbar gefährlichen Verlauf.

Kasuistik 12.5.3-2: Ronald Reagan: "Ich beginne die Reise zum Sonnenuntergang meines Lebens"

Der öffentliche Brief des damals 83-jährigen US-Präsidenten, als er 1994 seine Alzheimer-Krankheit unmissverständlich ansprach, gilt heute noch als ein bewegendes Dokument über einen Menschen, der einen Blick hinter seine schicksalhafte Diagnose geworfen hatte. 
http://www.planet-wissen.de/gesellschaft/krankheiten/alzheimer/pwieeinoffenerbriefvonronaldreagan100.html
 

Kasuistik 12.5.3-3: Inge Jens: "Mein Mann entschwand mir immer mehr"

Fast 10 Jahre lang hatte Inge Jens ihren Mann Walter Jens (1923 - 2013), den großen Tübinger Intellektuellen, als Demenzkranken erlebt und gepflegt. 3 Jahre nach seinem Tod, selbst hochbetagt, schuf sie mit ihrem Buch "Langsames Entschwinden" ein bewegendes, kritisches und letztlich liebevolles Dokument aus der Sicht der pflegenden langjährigen Ehefrau. In einem Interview schildert sie den Beginn der Krankheit:
"Mein Mann zieht sich in seinen Lehnsessel zurück, nimmt ein Buch zur Hand und liest. Als ich zu ihm gehe, merke ich aber, dass er es verkehrt herum hält. In späteren Phasen kam er oft mit einem Blatt Papier zu mir und bat mich, es abzutippen: 'Du, der XY wartet noch auf ein Gutachten.' - Das hatte mein Mann zu seiner Zeit als Professor oft getan, um für Studenten oder Doktoranden Stipendien zu erwirken. Doch das Blatt Papier enthielt nur Unstimmiges. Nie hat mein Mann soviele 'Gutachten' geschrieben."
http://www.welt.de/kultur/literarischewelt/article153089708/Ich-wollte-ihn-nicht-verstecken.html

Kommentar:

Der Autor Arno Geiger, der selbst seinen an Alzheimer erkrankten Vater betreut hatte, vermittelt seinen Lesern in seinem Buch "Der alte König in seinem Exil" einen lebendigen Eindruck, wie ein an Demenz bzw. Alzheimer Erkrankter von seinen Angehörigen wahrgenommen wird. Für Hausärzte besonders lesenswert.
http://www.dieterwunderlich.de/Geiger-koenig-exil.htm

Typischer Verlauf kognitiver Störungen bei der Alzheimer-Krankheit
© Jung: Typischer Verlauf kognitiver Störungen bei der Alzheimer-Krankheit. SCI = subjektive kognitive Störung, MCI = leichte kognitive Beeinträchtigung, lD = leichte Demenz, mD = mittelschwere Demenz, sD = schwere Demenz

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