13.1.8 Diabetisches Fußsyndrom
Zusatzinfo
Wissenswertes
Ca. 70 % aller Amputationen werden in Deutschland bei Diabetikern durchgeführt. Die allgemeine Behandlungsstrategie umfasst grundlegende Maßnahmen der Diagnostik und Prävention.
Risikofaktoren
Neben den Hauptrisikofaktoren für das Entstehen von Fußläsionen (s. Buch) gibt es weitere schädigende Einflüsse (alphabetisch):
- Adipositas (BMI ≥ 35 kg/m²),
- Arthropathie (Hüfte/Knie/OSG) oder Gelenkimplantat mit Funktionsbeeinträchtigung/Kontraktur,
- Barfußlaufen,
- eingeschränkte Gelenkmobilität (z. B. Fußdeformitäten),
- (erhebliche) Visuseinschränkung,
- Hornhautschwielen,
- Immunsuppression einschl. Glukokortikoide,
- mangelnde/falsche Fußpflege,
- motorische Funktionseinschränkung/Parese eines Beines oder beider Beine,
- psychosoziale Faktoren,
- Seheinschränkungen,
- Suchtkrankheiten (z. B. Rauchen, Alkoholismus),
- ungeeignetes Schuhwerk,
- vorangegangene Amputationen.
Wundabdeckung
Es stehen heute inaktive, interaktive und bioaktive Wundauflagen zur Verfügung, die bis zur völligen Abheilung der Wunde (Epithelialisierung) verwendet werden sollen. Die verschiedenen Phasen der Wundheilung müssen dabei unbedingt berücksichtigt werden:
- Exsudative Phase,
- resorptive Phase,
- proliferative Phase,
- regenerative Phase.
Lokale Antiseptika
Heute vor allem Polyhexamid 0,04 % (gegen fast alle relevanten Bakterien und Pilze wirksam, jedoch nicht sporozid und virozid); Octenidin 2 Hcl 0,1 %, Phenoxyethanol 2 % (fast alle relevanten Erreger nach einer Einwirkungszeit von 2 min) (farblos und schmerzfrei) oder PVP-Jodpräparat (breites Spektrum, unangenehme Verfärbungen, Verdünnung nicht zulässig, Kontraindikation: Hyperthyreose).
Merke
Die regenerative Phase kann bis zu 1 Jahr andauern. Erst dann ist die Wunde durch Ausreifung von Kollagenen und Narbenbildung so fest, dass kein Rezidiv droht.
Interaktive Wundauflagen:
- Alginate,
- Hydrofaserverbände,
- Hydrokolloidverbände,
- Hydropolymerverbände,
- silberhaltige Auflagen,
- Schaumverbände,
- imprägnierte Gaze.
(Schmeisl 2008)
Tabelle. Stadieneinteilung nach Wagner zur Beurteilung des diabetischen Fußes
Stadium |
Läsion |
0 |
Risikofuß, keine offene Läsion |
1 |
Oberflächliche Läsion |
2 |
Läsion bis zu Gelenkkapsel, Sehnen oder Knochen |
3 |
Läsion mit Abszedierung, Osteomyelitis, Infektion der Gelenkkapsel |
4 |
Begrenzte Vorfuß- oder Fersennekrose |
5 |
Nekrose des gesamten Fußes |
Interpretation der Stadien nach Wagner und Armstrong
Als Stadium 0 werden Füße von Diabetikern klassifiziert, die Fußfehlstellungen (z. B. Hallux valgus) oder Hyperkeratosen aufweisen. Auch Patienten mit einer sensomotorischen Neuropathie und erhöhten plantaren Fußdruckprofilen in der Pedobarographie können bereits unter diesem Stadium aufgeführt werden.
Komplexes Behandlungsmanagement
3 Säulen umfasst das Therapiekonzept des diabetischen Fußulkus, schreibt der Gefäßchirurg Dr. med. Maier-Hasselmann in der Zeitschrift Der Allgemeinarzt (2017) in einem CME- Beitrag: Diffenzialdiagnostik - Ursachenbehandlung - Konsequente Behandlung; dabei sollte auch eine periphere arterielle Verschlusskrankheit bedacht werden:
https://www.allgemeinarzt-online.de/a/diabetisches-fussulkus-so-heilen-chronische-wunden-1834387
Fallbeispiel
Kasuistik 13.1.8-1:
Ein 82-jähriger Mann kommt mit seiner 79-jährigen Frau außerhalb der Sprechstunde zu einem Allgemeinarzt. Beide Personen sind dem Doktor nicht bekannt.
Der Mann: „Herr Doktor, schauen Sie sich mal den Fuß meiner Frau an“ (Foto), „wir wollen heute Abend noch nach Italien fahren. Schmerzen hat sie ja keine.“
Überlegungen und Fragen
- Welche wesentlichen Fragen zur Vorgeschichte stellen Sie der Frau bzw. dem Mann?
-
Wie schätzen Sie diesen Fall ein?
eher leicht? mittel? eher schwer?
eher akut? mittel? eher chronisch?
eher häufig? mittel? eher selten?
eher somatisch? mittel? eher psychisch?
sofort überweisen? weiß nicht? eher zuwarten? - Welche Hypothese(n) bilden Sie sich?
- (Mögliche/r) abwendbar gefährliche/r Verlauf/Verläufe?
- Welche körperlichen Untersuchungen und mit welchem Ziel nehmen Sie vor?
- Welche Labordiagnostik und mit welchem Ziel veranlassen Sie?
- Welche weiterführende Diagnostik und mit welchem Ziel veranlassen Sie bzw. führen Sie in ihrer Praxis sofort durch?
- Welchen Eindruck macht auf Sie das Ehepaar?
- Welche Maßnahmen führen Sie durch bzw. schlagen Sie auswärts vor?