Mader : Fakten - Fälle - Fotos®
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13.1.13 Medikamentöse Behandlung

Zusatzinfo

Wissenswertes

Die Bauchspeicheldrüse eines Nichtdiabetikers gibt alle paar Minuten wenige Einheiten Insulin ab, um den Grundbedarf des Körpers an Insulin (Muskulatur, Fettgewebe, Leber) zu decken – in Fastenphasen ca. 11 E/h.

Zur Therapie bei Herzinsiuffizienz (vgl. Mader: Fakten-Fälle-Fotos 6.2.3) von Patienten mit Diabetes mellitus schreiben Prof.Lehrke et al in der Zeitschrift Der Allgemeinarzt (2021) 2: 16-18
https://allgemeinarzt.digital/epaper-data/Der-Allgemeinarzt-2021_2/16/index.html


Übersicht. Antidiabetika, die das Gewicht bei Typ-2-Diabetikern beeinflussen können

Wie Diabetesmedikamente das Gewicht bei Typ-2-Diabetes beeinflussen

Metformin

-1 Kilogramm

Sulfonylharnstoffe

+1 bis 2 Kilogramm

Alpha-Glukosidase-Hemmer

Neutral

Thiazolidindione

+3 bis 4 Kilogramm

DPP-4-Hemmer

Neutral

SGLT-2-Hemmer

-2 bis 3 Kilogramm

Insulin

+1 bis 10 Kilogramm

GLP-1-Mimetika

-2 bis 3 Kilogramm

Quelle: Evidenzbasierte Adipositastherapie und empfehlenswerte Programme, Prof. Hans Hauner, DDG-Herbsttagung 2015, Düsseldorf

 

Konventionelle Insulintherapie (CT)

Diese Therapie ist schlechter zu steuern, da sie am weitesten von den physiologischen Gegebenheiten abweicht (Insulinbedarf zu den Mahlzeiten, basaler Insulinbedarf). Sie ist jedoch einfacher zu handhaben und gut geeignet, wenn es nicht auf eine strenge Einstellung ankommt (z. B. bei geriatrischen Patienten.


Intensivierte konventionelle Insulintherapie (ICT)

Die ICT ermöglicht eine bessere Stoffwechselkontrolle, sie erfordert jedoch ein höheres Maß an Verständnis für die Therapie auf Seiten des Patienten.

90 % aller Typ-1-Diabetiker werden in Deutschland danach behandelt. Der große Vorteil der ICT besteht in der Möglichkeit der Mahlzeitenverschiebung oder gar –auslassung. Der Insulinbedarf für die 3 Hauptmahlzeiten sowie auch gelegentlich für Zwischenmahlzeiten muss jedoch berechnet werden (Tabelle).

"Die DCCT ist übrigens eine schöne Begründung, warum eben kein Analoginsulin genutzt werden sollte, denn für die konventionellen Insuline gibts immerhin Endpunktevidenz (das ist auch so nachzulesen in Sondervoten der DDG-Typ1-Leitlinie, zum Teil aus der DDG selbst)" (Till Uebel, Listserver 25.02.2016). 

www.online-zfa.de/article/doch-kein-vorteil-der-intensiven-insulintherapie-zentrale-dcct-schlussfolgerung-nachtraeglich-korrigiert/uebersicht-review/y/m/810

Tabelle. Insulinbedarf zu den Mahlzeiten/BE-Faktoren

Morgens

Etwa 1,0-3,0 IE/BE

Mittags

Etwa 0,5-1,5 IE/BE

Abends

Etwa 1,0-2,0 IE/BE


⊡Abb. 12.9. Vorgehen bei der basalunterstützten oralen Therapie (BOT) beim Typ-2-Diabetiker; (NBZ) Nüchternblutzucker

â–º Beibehalten der oralen Therapie

â–º Beginn mit 10 I.E. Basalinsulin

â–º Dosisvariation nach 3-5 Tagen in Abhängigkeit vom erreichten Nüchternzucker

â–º Ziel-NBZ: < 100 mg/dl (< 5,5 mmol/l)

1.       Beibehalten der oralen Antidiabetika

2.       Beginn mit 10 I.E. Lantus

3.       Dosisanpassung nach 3-5 Tagen abhängig vom Nüchternblutzucker

 

 

Erwarteter Lantus-Bedarf
bei Typ-2-Diabetes

120-140 mg/dl

(6,7-7,8 mmol/l)

+ 2 I.E.

Körpergewicht < 70 kg

0,2 I.E. kg

140-180 mg/dl

(7,8-10 mmol/l)

+ 4 I.E.

70-90 kg

0,3 I.E. kg

> 180 mg/dl

(> 10 mmol/l)

+ 6 I.E.

90-100 kg

0,4 I.E. kg

< 70-80 mg/dl

(< 3,9-4,5 mmol/l)

- 2 I.E.

> 100 kg

0,5 I.E. kg

Aufgrund der unterschiedlichen Insulinempfindlichkeit am Vormittag, Mittag und Abend brauchen wir zum Frühstück mehr Insulin für 1 BE als mittags und abends; daher gibt es für Frühstück, Mittag- und Abendessen, aber auch für Zwischenmahlzeiten unterschiedliche BE-Faktoren.


Dawn-Dusk-Phänomen

In den frühen Morgenstunden (Dawn-Phänomen) und in der Nacht (Dusk-Phänomen) steigt der Insulinbedarf an (auf ca. 1,2-1,4 IE/h). Ein morgendlicher BZ-Anstieg findet sich häufig auch bei nachlassender MBA-Insulinwirkung vom Vorabend, ein starker morgendlicher Anstieg des BZ auch nach vorangegangener Hypoglykämie z. B. gegen 24.00 bis 3.00! Nächtliche BZ-Messungen erlauben eine Differenzierung.


Triple-Therapie

Diskussion einer Dreifach-Kombinationsbehandlung z. B. mit Metformin, Glitazonen sowie SH, Gliptinen oder Gliniden. Allerdings sollte im Einzelfall abgewogen werden, ob der Einsatz einer dritten Tablettensorte aus medizinischer wie auch aus wirtschaftlicher Sicht sinnvoll erscheint oder ob nunmehr der Zeitpunkt für den Einstieg in die Insulintherapie gekommen ist (Mehnert 2010).


Insulinpumpen

Diese Therapie ist sicherlich die Form, welche der Physiologie am nächsten kommt. Sie kann gut geeignet sein, wenn sie ein Patient beherrscht. Auf der anderen Seite können Arzt und Patient viele Anwendungsfehler machen. Sie ist nur für einen kleinen Teil der Typ-1-DM-Patienten geeignet.


Metformin vs. Sulfonylharnstoff

Therapie nach Möglichkeit immer mit Metformin beginnen.Bei Medikamenten aus der Gruppe der Sulfonylharnstoffen (Glibenclamid und Glipzid) liegt das Risiko für spätere Herz-Kreislauf-Erkrankungen (Herzinfarkte,Schlaganfälle) um 21 % höher als bei einer Metforminbehandlung  (Annals of Internal Medicine 2012;157:601-610) .


GLP-1-Mimetika

Die derzeit zur Verfügung stehenden GLP-1-Mimetika sind bislang nicht zur Monotherapie zugelassen. Es besteht eine Zulassung zur antihyperglykämischen Behandlung in Kombination mit Metformin und/oder einem SH bei Patienten, bei denen mit der maximal verträglichen Dosis dieser oralen Therapien eine angemessene BZ-Kontrolle nicht erreicht werden konnte.


Die HbA1c-Senkung von 0,3 % (bei gleichzeitiger Einnahme von Metformin) ist nach Auffassung der DEGAM im Verhältnis auch zu den möglichen Nebenwirkungen (z.B. Pankreatitis? Pankreaskarzinom?) zu gering. Zu den Inkretinen liegt seitens der DEGAM noch keine Stellungnahme vor.
http://www.degam.de/files/Inhalte/Leitlinien-Inhalte/Dokumente/S1-Handlungsempfehlung/S1-HE_Gliptine_Kurzfassung.pdf


Behandlung des Typ-2-Diabetes - statistisch oder individualisiert?

Ende August 2013 wurde die "Nationale VersorgungsLeitlinie zur Therapie des Typ-2-Diabetes" verabschiedet. Danach soll zusätzlich zur Basistherapie mit Lebensstil-Änderungen - Ernährung und körperliche Bewegung - die medikamentöse Behandlung mit dem Biguanidpräparat Metformin begonnen werden. Der nächste Therapieschritt bei ungenügendem Erfolg mit Metformin stellt den Ärzten zwei Möglichkeiten zur Wahl: Nach statistischen Durchschnittsresultaten, also "evidenzbasiert", oder individuell nach den Besonderheiten und Bedürfnissen des Patienten (1).

Diese neue Fassung stellt einen Kompromiss zwischen den unterschiedlichen Auffassungen der Deutschen Diabetes-Gesellschaft (DDG) und der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM) einerseits und der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin (DEGAM) und der Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) andererseits dar. DDG/DGIM empfehlen bei Unverträglichkeit / Kontraindikation bzw. ungenügender Wirkung von Metformin als 2. bzw. 3. Schritt eine andere bzw. Kombination mit einer zweiten Tablettenart oder injizierbaren Antidiabetika, alphabetisch aufgelistet. DEGAM/AkdÄ hingegen schlagen vor, evidenzbasiert Insulin oder Glibenclamid einzusetzen, lassen aber in der verabschiedeten Endfassung jetzt auch andere Möglichkeiten offen.

In der neuen VersorgungsLeitlinie findet sich folgender Passus: "Der Dissens spiegelt die Komplexität einer noch unzureichend untersuchten Krankheit und deren Behandlung wider ... Die Nationalen VersorgungsLeitlinien (sollen) nicht nur Einigkeit, sondern auch Divergenzen transparent formulieren ... Dies hilft auch im nationalen Interesse der Politik, der Ärzteschaft, Kostenträgern und den betroffenen Patienten Problemfelder und Forschungsbedarf aufzuzeigen" (1). Das gemeinsame Consensus Statement 2012 der Amerikanischen und der Europäischen Diabetesgesellschaft empfiehlt ebenso wie die DDG/DGIM individualisierte Therapiekonzepte und -ziele (2).

Nach langen Diskussionen wurde also dieser vernünftige Kompromiss gefunden. Die Zeit der harten, "evidenzbasierten Medizin (EbM) für alle" als Diktat ist wohl vorbei. Sie wurde, wie ihr Begründer David Sackett später einmal sagte, für wirtschaftliche Aspekte missbraucht ("misused") und von Einkäufern gekidnapt ("hijacked by purchasers") (3). Freilich sollen und müssen Therapieformen nach den Regeln der EbM auf Endpunkte (outcomes) und nicht nur auf Surrogatparameter geprüft werden. Bei der Multimorbidität vieler unserer Typ-2-Diabetespatienten gibt es aber wenig Evidenzen für Kombinationen von Antidiabetika. Somit muss die geplante Therapie in jedem Einzelfall vom Arzt mit seinem Patienten besprochen und gemeinsam mit ihm festgelegt werden.

Prof. Dr. Helmut Schatz, Bochum (DGE 29.8.2013)

Literatur
(1) ÄZQ 2013, http://www.versorgungsleitlinien.de; (2) Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie: Paradigmenwechsel bei Leitlinie 2012 zur Behandlung des Typ-2-Diabetes. Pressenmitteilung von April 2012; (3) Helmut Schatz: Von David Sacketts "Evidence-based Medicine" zu einer "Evidence-biased Medicine"? Diabetes, Stoffwechsel und Herz 2007, 16:115-116


NVL-Diabetes Typ 2:
http://www.versorgungsleitlinien.de/themen/diabetes2/dm2_therapie/pdf/NVL-DM2-Ther-lang_130820.pdf


Moderne Diabetestherapie

Über einen Entscheidungsbaum zur Wahl des Antidiabetikums im Praxisalltag und den Zusatznutzen der wichtigsten Antidiabetika zur Behandlung von Typ 1 und 2 wird in der Zeitschrift Der Allgemeinarzt (2021) 6: 32-34  berichtet
https://allgemeinarzt.digital/epaper-data/Der-Allgemeinarzt-2021_6/34/index.html


Pharmakotherapie im Alter


Der Klinische Geriater und geriatrische Pharmazeut Dr. Romano Fanzutti weist in seinem Übersichtbeitrag "Hohes Alter birgt viele Gefahren" in der Zeitschrift Der Allgemeinarzt (2017) bei der Verordnung von Antidiabetika bei Älteren auf mögliche Arzneimittelinteraktionen hin. Zudem spielt die Alltagskompetenz  bei der Arzneimitteleinnahme eine wichtige Rolle. 
https://www.allgemeinarzt-online.de/a/pharmakotherapie-des-diabetes-mellitus-hohes-alter-birgt-viele-gefahren-1846614


Technik der Insulininjektionen

In der Zeitschrift Der Allgemeinarzt 2016 vermittelt der Allgemeinarzt und Diabetologe Dr. med. Guido Freckmann in einem CME-Beitrag einen Überblick über die Diabetestechnologie in Gegenwart und Zukunft.
http://www.allgemeinarzt-online.de/a/1752046


Injektionsbereiche und Injektionszonen

Zu unterscheiden sind Injektionsbereiche (Oberarm, Bauch, Gesäß und Oberschenkel), Injektionszonen sowie Injektionsstellen.

Injektionsbereiche
Injektionen in den Oberarm: Bei Erwachsenen ist die sichere Insulininjektion in den Oberarm bei Verwendung einer kurzen Pen-Nadel (4 mm) auch ohne Bildung einer Hautfalte möglich.
Injektionszonen
für den Bauch:
- ca. 1 cm über der Schambeinfuge (Symphysis pubica);
- ca. 1 cm unter der untersten Rippe;
- ca. 1 cm Abstand vom Bauchnabel.
seitlich an den Flanken:
- oberes Drittel an der Außenseite (anteriorer-lateraler Aspekt) beider Oberschenkel;
- hinterer seitlicher Bereich (posteriorer-lateraler Aspekt) beider Gesäßhälften;
- mitteleres Drittel des hinteren Bereichs (posteriorer Aspekt) der Oberarme.
Injektionszonen und Wirkstoffe:
- Die schnellste Resorption von löslichen Humaninsulinen erfolgt am Bauch, der somit der bevorzugte Injektionsbereich ist.
- NPH-Insuline werden langsamer aufgenommen, wenn sie in den Oberschenkel oder das Gesäß injiziert werden. Diese Stellen sind zu bevorzugen, wenn NPH als Basalinsulin eingesetzt wird. Wenn möglich soll NPH-Insulin eher vor dem Schlafengehen als zum Abendessen gespritzt werden, um das Risiko nächtlicher Hypoglykämien zu reduzieren.
- Mischinsuline sollen am Morgen in den Bauch injiziert werden, um die Resorptionsrate des schnell wirkenden Anteils zu erhöhen und damit postprandiale Blutglukosespitzen am Vormittag abzudecken.
- Am Abend sollen Mischinsuline in den Oberschenkel oder das Gesäß gespritzt werden, da sonst die Gefahr einer nächtlichen Hypoglykämie besteht, wenn der NPH-Anteil des Insulins zu schnell resorbiert wird.
- Schnell wirkendeInsulinanaloga können an jeder beliebigen Injektionsstelle verabreicht werden, da die Resorptionsraten anscheinend nicht von der Injektionsstelle abhängig sind.
- Vorbehaltlich weiterer Studien können Menschen mit Diabetes langsam wirkende Insulinanaloga an allen üblichen Injektionsstellen injizieren.
- Die langwirksamen Analoga Lantus® und Toujeo® sowie das Biosimilar Abasaglar® werden im Bauch, Oberarm oder Oberschenkel injiziert.
- Wegen des Risikos einer schweren Hypoglykämie sollen langsam wirkende Insulinanaloga nicht intramuskulär verabreicht werden. Menschen mit Diabetes, die sich nach der Injektion von Glargin (Abasaglar®, Lantus®, Toujeo®) oder Detemir (Levemir®) sportlich betätigen, müssen auf das Risiko einer evtl. dadurch verursachten Hypoglykämie hingewiesen werden.
- GLP-1-Wirkstoffe – auch in Kombination mit lang wirkendem Analogon – können in jeden beliebigen Injektionsbereich verabreicht werden, da die Resorptionsraten offensichtlich nicht vom Injektionsbereich ahängig sind.

Injektionsstelle
- Es soll eine andere Stelle gewählt werden, wenn die ursprünglich gewählte Injektionsstelle Anzeichen einer Lipodystrophie, Entzündung, Infektion oder eines Ödems aufweist.
- In Narben, Haarwurzel, Muttermale und in andere Hautauffälligkeiten soll nicht injiziert werden.
- Eine Injektion durch die Kleidung hat zwar keinen ungünstigen Einfluss auf die Insulinwirkung, aber die Tatsache, dass man bei der Injektion durch die Kleidung weder eine Hautfalte anheben noch die Injektionsstelle in Augenschein nehmen kann, macht dies zu einer suboptimalen Praxis.
 

Quelle: Leitfaden zur Injektion bei Diabetes mellitus. Health Care Professionals. 2. Auflage 2016. Verband der Diabetes- Beratungs- und Schulungsberufe in Deutschland e.V. (VDBD). https://vdbd.de/


Fallbeispiel

Kasuistik 13.1.13-1: Typ 2 Diabetiker: Schulung und Insulin

Der Diabetologe T. Schwarz berichtet in der Zeitschrift Der Allgemeinarzt (2016) in seinem Beitrag "Insulintherapie bei Typ-2-Diabetes" von einem 56-jährigen adipösen Patienten mit T2DM, der bis zu 48 IE Insulin erhielt und schließlich durch Schulung und GLP-1-Rezeptoragonist auf 26 IE reduziert werden konnte.
http://www.allgemeinarzt-online.de/a/1787703

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