Mader : Fakten - Fälle - Fotos®
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13.2.4 Mund- und Gesichtsschmerzen

Zusatzinfo

Merke

Es ist wichtig, Gesichts- von Kopfschmerzerzen zu unterscheiden. Denn hier ähneln manche Beschwerdebilder, z.B. die sog. "trigeminoautonomen" (vgl. PRINT) Kopfschmerzen den Gesichtsschmerzen oder überlappen sich teilweise mit ihnen.


Trigeminusneuralgie

(siehe ausführlich im Hauptkapitel PRINT und FFF 3. 1. 6 "Trigeminusneuralgie"). Schmerzen, die vom 5. Hirnnerv, dem Trigeminusnerv, ausgehen, gehören zu den heftigsten Schmerzerfahrungen überhaupt. Die 3 Hauptäste versorgen wichtige Gesichtsabschnitte mit Sensibilität, wie die Stirn und den angrenzenden Kopfbereich, Augen und Nase sowie die Regionen um Oberkiefer, Unterkiefer- und Kinn. Darüber hinaus sind sie für die Aktivität (Motorik) zum Beispiel der Kau- und Schläfenmuskulatur zuständig.

Die Attacken bei der idiopathischen Trigeminusneuralgie treten sowohl spontan als auch durch Reize wie Berührung im Trigeminusversorgungsgebiet auf (z. B. Kauen, Sprechen, Schlucken oder Zähneputzen). Zwischen den Attacken besteht Beschwerdefreiheit. Multiple Attacken können täglich über Wochen bis Monate auftreten und in Anfangsstadien spontan über Wochen bis Monate sistieren. In der Regel ist der Verlauf progredient.

Bei der symptomatischen Trigeminusneuralgie kommt es zwar ebenfalls zu Schmerzparoxysmen, zusätzlich aber zu Zeichen einer Sensibilitätsstörung im Versorgungsgebiet des betroffenen Trigeminusastes bzw. fehlender Schmerzfreiheit zwischen den Attacken (z. B. bei MS, Neurinome, insbesondere Akustikusneurinom) (Pfaffenrath 2008).


Anhaltender idiopathischer Gesichtsschmerz

(veraltet : "atypischer Gesichtsschmerz" n. Frazier und Russel 1924).
 

Merke

Ein Gesichtsschmerz, der nicht dem Nervenschmerz (Neuralgie) zugeordnet werden kann,wird als (atypischer) anhaltender idiopathischer Gesichtsschmerz, also unbekannter Ursache, bezeichnet.

Ein idiopathischer Gesichtsschmerz ist eine sog. Ausschlussbezeichnung, wenn :

- die Gesichtsschmerzen täglich auftreten, nahezu ständig und einseitig;
- die Schmerzen örtlich schlecht eingrenzbar sind;
- Zusatzuntersuchungen (Rö usw.)von Gesicht und Kiefer unauffällig sind;
- der Schmerz nicht in Zusammenhang mit einer organ.Krankheit steht.

Wenn andere Erkrankungen sorgfältig ausgeschlossen wurden, sollte ein Patient mit atypischem Gesichtsschmerz oder atypischem Zahnschmerz (Odontalgie) zunächst darüber aufgeklärt werden, dass er unter einer Schmerzerkrankung leidet, die sich häufig auch wieder zurückbildet. Damit die Erkrankung nicht chronisch wird, sollten möglichst keine weiteren operativen Eingriffe durchgeführt werden. Zur Behandlung kann beispielsweise ein zur Schmerzbehandlung niedrig dosiertes trizyklisches Antidepressivum gegeben werden. Unterstützend können Massage, Kälte- oder Wärmeanwendungen im Gesicht sowie andere manuelle Verfahren hilfreich sein. Eine zusätzlich bestehende Depression oder Angststörung sollte gezielt medikamentös oder psychotherapeutisch behandelt werden. Sinnvoll ist die Kombination aus medikamentöser Therapie, Entspannungsverfahren (z.B. progressive Muskelrelaxation nach Jacobson) und Ausdauersport sowie eine gezielte psychotherapeutische Mitbetreuung bei hohen psychosozialen Belastungen. Da die Betroffenen oft schon jahrelang unter ihrer Erkrankung leiden, ist auch ein multimodales Behandlungsprogramm nicht immer erfolgreich (Pfau und Gaul, Deutsche Schmerzgesellschaft 2012).



Myofasziale Gesichtsschmerzen

(auch: craniomandibuläre Dysfunktion oder Myoarthropathie). Häufig ist der Schmerz am Morgen am stärksten ausgeprägt (da das Knirschen sehr häufig in der Nacht geschieht) und schläfenbetont. Er kann einseitig betont sein.

Generell wird unterschieden zwischen Schmerzen der Kaumuskulatur (Myopathie), Verlagerung der Knorpelscheibe im Kiefergelenk (Diskusverlagerung) und entzündlichen oder degenerativen (Abbau, Funktionsverlust) Veränderungen der Kiefergelenke (z. B. Arthritis, Arthrose). Eine interdisziplinäre Zusammenarbeit von Zahnärzten und Spezialisten aus den Fachgebieten Orthopädie, Physiotherapie, HNO und Neurologie ist von großer Bedeutung (RKI Mundgesundheit, Heft 47, Berlin 2009).

Als Therapie wird u.a. eine Aufbissschiene empfohlen, die das Gelenk entlastet und über eine Änderung der Position der Strukturen beim Zubeißen bzw. in der Ruheposition die erlernten Bewegungsmuster (Zähneknirschen und -pressen) entkoppeln soll. Auch  Physiotherapiebewirkt bei muskulären Beschwerden sehr häufig eine Besserung, ebenso wie Eigenmassage der Kaumuskulatur durch den Patienten. Wichtig ist dabei, dass gezielte Eigenübungen erlernt werden, die dann täglich vom Betroffenen selbst durchgeführt werden. Empfehlenswert sind auch das Erlernen der progressiven Muskelentspannung n. Jacobson sowie ein gezielter Umgang mit Stress. Bei besonderen Belastungsfaktoren ist die Inanspruchnahme einer psychologischen Beratung, ggf. auch eine psychotherapeutische Betreuung, sinnvoll. Zusätzlich können vom Arzt trizyklische Antidepressiva in niedriger Dosierung verordnet werden, die als Nebeneffekt etwas entspannen, aber auch müde machen. Bei verschleißartigen Veränderungen des Kiefergelenks kann die Abtragung von Knorpelresten helfen, bei entzündlichen Veränderungen die Einnahme entzündungshemmender Medikamente. Beachtet werden sollte, dass muskuläre Beschwerden der Kaumuskulatur auch die Kopfschmerzhäufigkeit bei Kopfschmerzpatienten (vor allem von Migräne und Kopfschmerz vom Spannungstyp) erhöhen können (Pfau und Gaul, Deutsche Schmerzgesellschaft 2012).

Über 10 % aller Gesichtsschmerzen treten als atypischer Gesichtsschmerz auf, der zu 90 % Frauen betrifft.

 


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