Mader : Fakten - Fälle - Fotos®
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13.3.8 Gerinnungsmanagement

Zusatzinfo

Besonderheiten bei Patienten mit Vorhofflimmern

  • Die Phenprocoumontherapie kann nach Kardioversion ohne Rezidiv nach sechs bis zwölf Wochen beendet werden.
  • Sollte aufgrund operativer Eingriffe die Phenprocoumontherapie unterbrochen werden müssen, empfiehlt sich ein Bridging mit NMH.
  • Zur Verhinderung von Thromben im Vorhof ist bei VHF immer eine entsprechende Therapie erforderlich.
  • Ein Herzschrittmacher ersetzt eine Antikoagulation bei VHF nicht.
  • Medikamente (Bisphosphonate, Theophyllin, Kortikoide etc.) sind als eventuelle Auslöser für VHF zu beachten.

(Liesenfeld u. Fessler)


Abb. Abschätzung des Schlaganfallrisikos bei Vorhofflimmern mittels CHADS2-Score

 

Bei Vorliegen von…

…ergibt sich

C (chronic heart failure)

Strukturelle Herzerkrankung, die Herzinsuffizienz verursacht

1 Punkt

H (hypertension)

Arterielle Hypertonie (auch behandelt)

1 Punkt

A (age)

Alter > 75 Jahre

1 Punkt

D (diabetes)

Diabetes mellitus

1 Punkt

S (stroke)

TIA, Apoplex

2 Punkte

Score = 0:
Wenn kein Risiko für einen Schlaganfall vorliegt, überwiegt das Risiko einer schweren Blutung durch Vitamin-K-Antagonisten. Es sollte eine Thrombozyten-Aggregationshemmung mit Acetylsalicylsäure (ASS 300 mg/Tag) erfolgen.

Score = 1:
Es muss eine individuelle Abwägung im Einzelfall erfolgen (je nach Schwere und Häufigkeit des Vorhofflimmerns, Schwere der Risikofaktoren etc.).

Score > 1:
Es sollte eine Antikoagulation mit oralen Antikoagulanzien (Phenprocoumon) (INR: 2,0 bis 3,0) erfolgen.


Liesenfeld und Fessler (2009) halten diesen Pass für sehr gut, da er insbesondere folgende Punkte zusammenfasst:

  • Ziel-INR-Bereich
  • Diagnose
  • Begleitmedikation
  • Wochendosis
  • INR-Werte (Quick-Wert ist obsolet!)
  • Spalte "Bemerkungen": Hier können z. B. Therapieabweichungen notiert werden.

Initiale Dosierung von Phenprocoumon

Dazu wird auch die Fachinformation verwiesen:
http://www.fachinfo.de/pdf/003056

Manche spezialisten bevorzugen eine "sanfte Einstellung":
http://www.herzklinik-ulm.de/aerzteservice/aerzteservice/bhl_assets/ZL%2010-2.pdf



Bridging

Bei hohem Thromboembolierisiko  sollte nach dem operativen Eingriff bis zum Wiedererreichen der angestrebten INR-Werte ein fraktioniertes Heparin 1x täglich (2500-5000 IE, s. c.) oder unfraktioniertes Heparin 3x täglich (5000 IE, s. c.) in niedriger, prophylaktischer Dosis gegeben werden.

 

Sorgfältige Nutzen-Risiko-Abwägung

Solche Situationen können sein:

  • Hyposphagma – über Harmlosigkeit aufklären.
  • Alltagsverletzungen z. B. bei der Gartenarbeit, im Haushalt, bei Rasur – längere, d. h. mindestens zehnminütige Wundkompression erklären.
  • Demenz und/oder Sturzgefahr – individuelle Risikoabwägung.
  • Magengeschwür – je nach aktuellem Gastroskopiebefund gemeinsam mit Gastroenterologen entscheiden.
  • Dekubitus/Ulcus cruris – individuelle Risikoabwägung.
  • Besonders sorgfältige Überwachung bei dekompensierter Herzinsuffizienz, Arteriosklerose, leichterer Hepatopathie, Vaskulitis sowie schwer einstellbarem Diabetes mellitus (ein Zusammenhang mit einer geringen Compliance kann bestehen).
  • Hypertonie: Bei allen Patienten mit Bluthochdruck ist wegen des erhöhten Risikos schwerer Blutungen die Indikation für eine Antikoagulation unter besonders sorgfältiger Abwägung von Nutzen und Risiko zu stellen. Der Blutdruck ist gut einzustellen.
  • Beim nephrotischen Syndrom ist die Wirkung von Phenprocoumon verringert (vermehrte Ausscheidung von albumingebundenem Antikoagulans).

Kontraindikationen

Für Phenprocoumon und Warfarin gilt gleichermaßen:

  • Krankheiten mit erhöhter Blutungsbereitschaft (z. B. hämorrhagische Diathese, Leberparenchymerkrankungen, manifeste Niereninsuffizienz, schwere Thrombozytopenie)
  • Erkrankungen, bei denen der Verdacht einer Läsion des Gefäßsystems besteht (z. B. Magen-Darm-Ulzera, Apoplexie, Traumen oder chirurgische Eingriffe am ZNS/Auge, Retinopathien mit Blutungsrisiko, Hirnarterienaneurysmen, disseziierendes Aortenaneurysma, floride Endokarditis lenta, Perikarditis)
  • Fixierte und behandlungsrefraktäre Hypertonie (> 200/105 mmHg)
  • Nach urologischen Operationen, solange Makrohämaturie besteht
  • Ausgedehnte offene Wunden (auch nach chirurgischen Eingriffen)
  • Bekannte Überempfindlichkeit gegen Phenprocoumon
  • Kavernöse Lungentuberkulose
  • Abortus imminens
  • Schwangerschaft
  • Keine Kontraindikation: Menstruationsblutungen

Übersicht. Operationen/Eingriffe mit hohem Blutungsrisiko [46]

  • Endoskopie mit Polypektomie/Sphinkterotomie
  • Abdominelle Eingriffe
  • Urogenitale Eingriffe
  • Neurochirurgische Eingriffe
  • Vaskuläre und kardiale Operationen
  • Punktionen innerer Organe
  • Tumorchirurgie
  • Transurethrale Prostataresektion
  • Knie- und Hüftgelenksersatz
  • Interventionelle Kardiologie
  • Extensive Oralchirurgie

Liesenfeld und Fessler machen auf der Basis der Leitlinien „Antikoagulation“ und „Venöse Thromboembolien“ der Hausärztlichen Leitliniengruppe Hessen (Wagner u. Dati 2000) umfangreiche Ausführungen über Indikationen, Risiken und Fallstricke der oralen Antikoagulation.








Wann macht ein Drug-Monitoring Sinn?

Bild zu Neue Antikoagulanzien  - Wann macht ein Drug-Monitoring Sinn?

Die neuen oralen Antikoagulanzien (NOAK) kommen in einem immer größeren Anwendungsbereich zur Prophylaxe und Therapie von Thromboembolien zum Einsatz. Vorteile und Nachteile gegenüber den Vitamin-K-Antagonisten oder Heparin werden sehr kontrovers diskutiert. Aufgrund ihrer kurzen Halbwertszeit sind die NOAK leichter zu steuern. Daher ist ein Drug-Monitoring meist nicht nötig. Es gibt allerdings Ausnahmen und man sollte wissen, wie man in diesen Fällen vorgehen muss.

Für die Vitamin-K-Antagonisten wie Phenprocoumon (Marcumar®) oder Warfarin spricht die lange Erfahrung mit diesen Medikamenten, die einfache Möglichkeit der Therapiesteuerung und -überwachung mittels INR und Quick-Wert, der sehr günstige Preis für Laborwert und Substanz sowie die Möglichkeit, bei einer Überdosierung mit PPSB zu antagonisieren. Dagegen stand für die NOAK lange Zeit kein Antidot zur Verfügung. Seit November 2015 ist nun allerdings mit Idarucizumab (Praxbind®) das erste spezifische Antidot für Dabigatran auf dem Markt. Die Therapiekosten mit den NOAK sind 10- bis 20-mal höher als mit den Vitamin-K-Antagonisten.

Der Vorteil der NOAK (vgl. Kästen 1 bis 3) ist in ihrer kurzen Halbwertszeit zu sehen, womit diese Substanzen leichter zu steuern sind und signifikant weniger schwere Blutungen gegenüber den Vitamin-K-Antagonisten verursachen, wie auch viele Studien gezeigt haben. Dies kann zum Teil durch mangelnde Compliance bei der Einnahme bedingt sein. Präoperativ ist ein Absetzen der NOAK wesentlich einfacher, ein bis zwei Tage vor dem Eingriff wird die Einnahme unterbrochen. Nach erneuter Gabe wird innerhalb von drei Stunden der volle Wirkspiegel wieder erreicht. Ein Therapeutic-Drug-Monitoring (TDM) ist daher meist nicht notwendig.

Wann und womit wird ein Monitoring der NOAK durchgeführt?

Bei einem potenziell erhöhten Blutungsrisiko, wie z. B. bei eingeschränkter Nierenfunktion, Hepatopathie, Thrombozytopenie oder -pathie, bei gastrointestinalen Blutungen, dringend erforderlichen gastrointestinalen Eingriffen oder Operationen, bei gleichzeitig verabreichten Medikamenten wie ASS, nicht steroidalen Antirheumatika (NSAR), Azol-Antimykotika wie Ketoconazol, bei Ciclosporin oder Tacrolimus, aber auch bei massiver Adipositas oder Kachexie, bei multimorbiden Patienten sowie zur Überprüfung der Compliance kann ein Monitoring der NOAK jedoch erforderlich werden.

Wechselwirkungen bestehen außerdem mit Medikamenten wie den CYP3A4-Induktoren Carbamazepin, Rifampicin, Phenytoin und Phenobarbital. Zusätzlich sollten als Laborwerte das Blutbild mit Thrombozytenzahl sowie das Kreatinin mit GFR (insbesondere bei Dabigatran) und Leberwerte wie die Transaminasen bestimmt werden.

Ein geeigneter Gerinnungstest für die FXa-Inhibitoren (Rivaroxaban, Apixaban) ist die Messung der Anti-Faktor-Xa-Aktivität. Dabei wird der im Test im Überschuss vorhandene aktivierte FXa durch das zugegebene verdünnte Patientenplasma in Abhängigkeit von der darin enthaltenen Inhibitor-Konzentration teilweise gehemmt. Die verbleibende FXa-Aktivität spaltet ein chromogenes Substrat, wobei das Spaltprodukt, meist p-Nitrophenol, photometrisch gemessen wird und sich zu der Inhibitorkonzentration umgekehrt proportional verhält. Da die Tests auf die jeweiligen Inhibitoren kalibriert sind, muss die Medikation angegeben werden. Die erwarteten Anti-F Xa-Spiegel sind vom Testhersteller und der jeweiligen Indikation abhängig. Die Blutentnahme erfolgt i. d. R. zur Kontrolle vor der nächsten Einnahme des Präparates. Das gewonnene Citratplasma sollte bei Versand gefroren verschickt werden. Letzteres gilt auch für das Monitoring des FIIa- oder Thrombin-Inhibitors Dabigatranetexilat. Hierfür eignet sich eine spezifisch kalibrierte Thrombinzeit (Hemoclot). Orientierend kann die aPTT-Verlängerung gemessen werden.

Für die Dosierung, Indikationen, Kontraindikationen und Wechselwirkungen der NOAK mit anderen Medikamenten sind die jeweiligen aktuellen Fachinformationen der Arzneimittelhersteller sowie die Informationen der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) zu beachten!


Dabigatran(etexilat) (Pradaxa® 75/110/150 mg)

·         Direkter reversibler oraler Faktor IIa-(Thrombin)Hemmer, HWZ 12-17 h bei normaler Nierenfunktion, zur Prophylaxe venöser Thrombosen und Embolien, Apoplex bei Vorhofflimmern, bei Hüft- und Kniegelenksersatz, zur Akut- und Langzeitbehandlung von tiefen Beinvenenthrombosen und Lungenembolien. Therapiedauer je nach Indikation

·         Max. Wirkung nach 0,5 – 2 h

·         Kontraindikation: Niereninsuffizienz, da Dabigatran zu 80 – 85 % renal eliminiert wird, sowie gleichzeitig verabreichtes Itraconazol, Ketoconazol, Ciclosporin oder Tacrolimus

·         Monitoring durch die spezifisch kalibrierte Thrombinzeit (Hemoclot Fa. Hyphen Biomed, Frankreich), orientierend mit der aPTT

 

Rivaroxaban (Xarelto® 20 mg)

·         Direkter oraler Inhibitor von Faktor Xa, HWZ 5 – 9 h bei Jüngeren, 11 – 13 h bei Älteren, zur Prophylaxe venöser Thrombosen und Embolien, Apoplex, bei Hüft- und Kniegelenksersatz, zur Akut- und Langzeitbehandlung von tiefen Beinvenenthrombosen und Lungenembolien. Therapiedauer je nach Indikation

·         Max. Wirkung nach 1 – 4 h

·         Kontraindikation: Lebererkrankungen, Zirrhose

·         Renale Elimination zu 66 %, bei GFR < 30 ml/min Dosisanpassung; präop. 24 Std. vor Eingriff absetzen

·         Monitoring möglich durch spezifische Messung der Anti-Faktor Xa-Aktivität von Rivaroxaban

 

Apixaban (Eliquis® 2,5 oder 5 mg)

·         Direkter oraler Inhibitor von Faktor Xa, mittlere HWZ 13,4 h, zur Prophylaxe venöser Thrombosen und Embolien, Apoplex, bei Hüft- und Kniegelenksersatz, zur Akut- und Langzeitbehandlung von tiefen Beinvenenthrombosen und Lungenembolien; Behandlungsdauer 32 – 38 d

·         Max. Wirkung nach 1 – 4 h

·         Kontraindikation: Lebererkrankungen, Zirrhose

·         Bei GFR < 30 ml/min Dosisanpassung; gleichzeitige Gabe von Antimykotika wie Ketoconazol hemmt den Abbau von Apixaban; präop. 24 Std. vor Eingriff absetzen

·         Monitoring durch spezifische Messung der Anti-Faktor-Xa-Aktivität von Apixaban


Autor:

Dr. med. Dr. rer. nat. Ebbo Michael Schnaith

 

MVZ Dr. Engelschalk, Dr. Schubach, Dr. Wiegel und Kollegen

94034 Passau


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