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14.1.2 Famulatur in der Allgemeinpraxis

Zusatzinfo

4-wöchige Pflichtfamulatur

Die Änderung der ÄApprO vom 24.7.2012 sieht verpflichtend vor, eine 4-wöchige Famulatur in einer Einrichtung der hausärztlichen Versorgung (Allgemeinärzte, Kinderärzte, Hausarztinternisten) abzuleisten. Dies bedeutet, dass künftig ca. 10.000 Famulaturstellen pro Jahr bundesweit erforderlich werden, um den Bedarf zu decken. Die Universitäten haben nahezu keinen Einfluss auf diesen Ausbildungsabschnitt; sie prüfen lediglich die Bescheinigungen über die Ableistung der Famulaturzeit. Der Student ist im Grunde für den Erfolg seiner Ausbildung im Wesentlichen selbst verantwortlich. Die DEGAM bemüht sich um die Errichtung einer Internetplattform zur Vermittlung von Famulaturstellen; ferner soll es ein e-learning-Angebot geben, das die Lehrenden und Lernenden während der Famulatur didaktisch unterstützt. Schließlich ist auch eine Qualitätskontrolle der Famulaturpraxen ebenso wie des e-learning-Angebots durch regelmäßige Evaluationen vorgesehen (Klein 2013).


Was Hausärzte und Famulanten inhaltlich vereinbaren können

Als Hilfestellung schlägt die gemeinsame Arbeitsgruppe Pflichtfamulatur von DEGAM, Hausärzteverband, GHA, BVMD und DGAAP folgenden, fortlaufend weiterzuentwickelnden Themenkatalog (Tabelle) vor. Studierende können daraus mit dem Lehrarzt eine individuelle Auswahl von ca. 5 Lerninhalten vereinbaren. Unabhängig davon sollten grundsätzliche hausärztliche Handlungsstrategien - wie die komplexe biopsychosoziale Betreuung, die Berücksichtigung familiärer Aspekte, die Nutzung der erlebten Anamnese, die Langzeitbetreuung, der Ausschluss abwendbar gefährlicher Verläufe und das abwartende Offenlassen - als Charakteristika hausärztlicher Tätigkeit immer vermittelt werden. Zu jedem Themengebiet können auch sonstige Lerninhalte vereinbart werden.

(Stein et al. 2013)


Tabelle. Lernangebote für die Famulatur in der hausärztlichen Praxis

Basisfertigkeiten

  • Anamneseerhebung
    - symptomorientiert
    - systematisch
  • Ärztliche Gesprächsführung
  • Ärztliche Gesprächsführung mit Erwachsenen
  • Trianguläre Gesprächsführung mit Kindern und Bezugspersonen
  • körperliche Untersuchung
    - symptomorientiert
    - komplett (Ganzkörperstatus)
  • Formularwesen: Ausstellen von Rezepten, Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen, Überweisungen, Krankenhauseinweisungen

Diagnostik

  • Kardiovaskuläre Untersuchung, ggf. Doppleruntersuchung der Extremitätenarterien, EKG-Anlage, -Auswertung, Ergometrie, Langzeit-EKG sowie LZ-Blutdruckmessung
  • Blutentnahme, Injektionen (intravenös, intramuskulär und/oder subcutan), Infusionstechniken
  • Lungenfunktionstest: Durchführung und Auswertung
  • Abdomensonografie: Durchführung
  • Kleines Praxislabor: Blutzucker-Schnelltest, Urin-Streifentest
  • Standardisierte kindliche Entwicklungsdiagnostik

Therapie

  • Erstellung eines Behandlungsplanes
  • Physikalische Therapie in der Praxis: Inhalation, Kurzwelle und/oder Reizstrom

Kleine Chirurgie

  • Fäden- und/oder Klammerentfernung
  • Wundversorgung und Verbandwechsel (z. B. Wundreinigung, aseptische und septische Wunden, primäre Wundversorgung einschl. Wundnaht, Arbeits- und Gesundheitsschutzmaßnahmen, insbes. Handschuhe, Schutzkleidung, Umgang mit Nadeln, steriles Arbeiten)
  • Punktionen und kleine Eingriffe in Lokalanästhesie

Gesundheitsbildung (Prävention)

  • Impfungen einschl. Impfberatung nach STIKO
  • Vorsorgeuntersuchungen
  • Gesundheitsvorsorgeuntersuchung (je nach Praxisspektrum)
    - Check-up
    - Hautkrebsscreening
    - Krebsvorsorgeuntersuchung für Männer sowie für Frauen
    - Kinder- und Jugendvorsorgeuntersuchung (U2 bis U11, J1, J2)
  • Ernährungsberatung
  • Hausärztliche Beratung bei Gesundheitsrisiken

Versorgung spezieller Patientengruppen

  • Koordination ärztlicher und nichtärztlicher Berufsgruppen
  • Geriatrisches Basisassessment
  • Je nach Praxisausrichtung:
    - Betreuung von Neugeborenen, Säuglingen, Kindern und Jugendlichen
    - Betreuung von palliativmedizinischen Patienten (z. B. Basissymptomkontrolle im Rahmen der Sterbebegleitung

Versorgung von Akut- und Notfällen

  • Teilnahme am ärztlichen Notdienst
  • Teilnahme bei Notfalleinsätzen

Langzeitbetreuung

  • Chroniker-Programme (Disease-Management-Programme: Diabetes, KHK, Asthma bronchiale, COPD)
  • Elternschulung (Erziehung, Ernährung, Asthma, atopisches Ekzem, Epilepsie, Adipositas)

http://degam-famulaturboerse.de

Hier finden Sie hilfreiche Links zu Organisation und Vorbereitung der Lehre sowie die rasche evidenzbasierte Klärung medizinischer Fragen.


Fallbeispiel

Kasuistik 14.1.2-1: Rückblick auf meine Famulatur in einer allgemeinärztlichen Gemeinschaftspraxis auf dem Lande

Für alle, die an einer Allgemeinmedizin-Famulatur interessiert sind, kann ich die Gemeinschaftspraxis in N. nur empfehlen. Meine Famulatur-Zeit war durchweg angenehm. Die Betreuung ist sehr gut und das gesamte Praxis-Team ist freundlich und auch geduldig. Die Arbeitsatmosphäre ist überaus angenehm. Auch wenn das Wartezimmer überfüllt ist – was vormittags eher die Regel als die Ausnahme ist –, kommen nicht wirklich Stress oder schlechte Laune auf.

In der Praxis war ich ab kurz vor 8 Uhr. Da es drei Ärzte in der Praxis gibt, konnte ich immer ohne Probleme bei einem mit in den Sprechstunden dabei sein. Je nachdem, wie viel los war, bin ich zwischen 12 und 14 Uhr nach Hause gefahren. Montags und mittwochs war ich (meist freiwillig) bei der Abendsprechstunde von 17 bis 19 Uhr mit dabei. Dienstagnachmittag war ich ein-, zweimal mit im Altenheim und auch auf Hausbesuche konnte ich mitfahren, wenn ich Lust hatte.

Während den Sprechstunden habe ich natürlich die meiste Zeit Arzt-Patienten-Gesprächen zugehört. Das fand ich sehr interessant, da ich erfahren konnte, aus welchen unterschiedlichsten Gründen Leute zu ihrem Hausarzt gehen – und das ist bei weitem nicht so oft wegen Erkältungen, wie ich erwartet habe. Einer der Ärzte hat mir oft die (teilweise auch komplexen) Krankheitsgeschichten der Patienten erläutert, damit ich die Hintergründe der Arztbesuche besser verstehen konnte. Ich sollte dann auch immer wieder überlegen, was ich als nächstes fragen würde, was untersucht werden muss oder was man bedenken sollte. Ein Höhepunkt war es für mich während eines Bereitschaftsdienstes am Wochenende, bei dem ich freiwillig anwesend war, einen Patienten vollständig alleine vorzuuntersuchen, vorzustellen und anschließend das weitere Vorgehen vorzuschlagen.

Was klinische Untersuchungen angeht, habe ich ab der zweiten Woche immer die vierteljährlichen diabetischen Fuß-Untersuchungen durchführen dürfen. Bein- und Armarterien zu doppeln, um eine PAVK auszuschließen fiel auch relativ bald in meinen Aufgabenbereich. Im Rahmen des Gesundheitschecks durfte ich, nachdem ich zwei-, dreimal angeleitet wurde, die körperliche Untersuchung (Herz, Lunge auskultieren, Abdomen palpieren, Fußpulse tasten) einschließlich des Hautscreenings im Rahmen der Hautkrebsvorsorge selbst durchführen. Bei den Ultraschall-Untersuchungen war ich mit dabei. Auf Nachfrage hätte ich wahrscheinlich auch das Sonographieren ausprobieren dürfen.

Normalerweise unter Aufsicht (bzw. Anleitung) habe ich EKGs (mit Brustwandableitungen) geschrieben, Blut entnommen, Impfungen verabreicht, Fäden gezogen, Verbände angelegt und eine Lungenfunktion angeleitet. Wenn ich gefragt habe, durfte ich wirklich viel machen. Da es im Alltagstrubel ab und zu untergegangen ist, habe ich meist einfach noch einmal gefragt, wenn ich z.B. wieder Blutabnehmen üben wollte. Im Zuge der Sprechstunden habe ich auch gelernt, wie man z.B. die Untersuchung der Motorik und Sensibilität der Beine systematisch aufbaut. Aus den klinischen Untersuchungskursen blieb zumindest bei mir nicht alles hängen, weshalb ich dankbar war, die verschiedensten Methoden einmal im richtigen Kontext ausprobieren zu können. Ich bin auch froh, dass ich jetzt weiß, was man alles untersucht, wenn jemand mit Fieber als Symptom zum Arzt geht. Das ist zwar recht banal, aber im Alltag doch sehr hilfreich. Schließlich wird von einem Medizinstudenten oft erwartet, dass er bei solchen Kleinigkeiten weiß, was zu tun ist.

Und jetzt noch kurz zu den Besonderheiten, durch die sich die Gemeinschaftspraxis Nittendorf in meinen Augen auszeichnet.

Es gibt einen kleinen OP-Raum, in dem nicht nur Verbände gewechselt und Nähte gezogen werden, sondern in meiner Anwesenheit z.B. auch Abszesse geöffnet, Warzen entfernt und Muttermale herausgeschnitten wurden.

Einer der Ärzte hat auch eine proktologische Sprechstunde, bei der ich manchmal dabei sein durfte. Gesehen habe ich u.a. eine Rektoskopie, das Herausschneiden von perianalen Thromben, das Abschnüren von Hämorrhoiden und das Veröden von Gefäßkonvoluten.

In die Chirotherapie und Akupunktur habe ich auch einen kleinen Einblick bekommen.

Für meine erste Famulatur habe ich mich für die Allgemeinmedizin entschieden, da mich das Fachgebiet interessiert. Außerdem dachte ich mir, dass man in einer Landpraxis einen guten Eindruck davon bekommen kann, welche Krankheiten häufig vorkommen und mit welchen gesundheitlichen Problemen die Menschen im Alltag konfrontiert werden. Ich wollte zudem eine möglichst große Bandbreite an klinischen Untersuchungsmethoden kennenlernen, um für weitere Famulaturen gewisse Basiskenntnisse zu schaffen. Natürlich habe ich keine spektakulären OPs oder seltene Krankheiten gesehen, allerdings war mir das auch im Vorhinein klar. Die ein oder anderen faszinierenden Krankheitsbilder waren dennoch dabei.

Was mich an der Allgemeinmedizin begeistert, ist, dass man die Patienten wirklich ganzheitlich kennenlernt. Man weiß über ihre bisherige Krankheitsgeschichte Bescheid und betreut sie über Jahre hinweg.

In dem Monat habe ich auch gelernt, dass es in der Allgemeinmedizin um den sog. „abwendbaren gefährlichen Verlauf“ geht. Natürlich kommen viele Patienten mit harmlosen Erkrankungen. Es geht allerdings darum, jeden gewissenhaft zu untersuchen, um den einen Patienten unter 100 zu finden, der eine ernste Krankheit hat.

Alles in allem war meine Famulatur rundum gelungen. Ich habe wirklich Gefallen an der Allgemeinmedizin gefunden und bin gespannt, was die nächsten Famulaturen für mich bereithalten.

Maria Scheid
Regensburg, 14.04.2013

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