Mader : Fakten - Fälle - Fotos®
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15.8.5 Impfungen und Impfmanagement

Zusatzinfo

Beachte
Zahlreiche Infos und Hintergründe finden sich auch in "Mader: Fakten-Fälle-Fotos®", Kap. 13.5.2 "Impfempfehlungen".


Wissenswertes

1794 nahm der englische Landarzt Jenner die erste Impfung gegen Blattern mit Kuhpockenlymphe vor. Am 8. April 1874 wurde das Reichsimpfgesetz eingeführt; es bestimmte, dass alle Kinder gegen Pocken geimpft werden sollten. Viele Eltern lehnten dies ab. Das beliebte Handbuch "Die Frau als Hausärztin" empfahl gar die Flucht vor dem neuen Gesetz: "Wer es vermag, verlasse Deutschland, bis die Kinder erwachsen sind." (Haupt F. FAZ Nr.46 vom 21.11.2021). Unter dem verheerenden Druck starker Blatternepidemien führte jedoch Bayern bereits 1807 die zwangsweise Impfung ein (Müller A. 1906).

In der Bundesrepublik Deutschland besteht keine Impfpflicht. Impfungen und andere Maßnahmen der spezifischen Prophylaxe werden von den obersten Gesundheitsbehörden der Länder auf der Grundlage der STIKO-Empfehlungen entsprechend § 20 Abs. 3 des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) öffentlich empfohlen. Die Versorgung bei Impfschäden durch „öffentlich empfohlene“ Impfungen wird durch die Bundesländer sichergestellt.


Tot-, Lebend-, Vektor-, mRNA-impfstoffe

Für den Aufbau des Impfschutzes gegen verschiedene Infektionskrankheiten stehen unterschiedliche Impfstoffarten zur Verfügung. Bei den "klassischen" Impfstoffen unterscheidet dabei zwischen Totimpfstoffen (inaktivierte Impfstoffe) (z.B. gegen Tetanus) und abgeschwächten Lebendimpfstoffen (z.B. gegen Masern) (BzgA 2021)
https://www.impfen-info.de/wissenswertes/impfstoffe/

Eine Zusammenstellung der Wirkprinzipien aller derzeit eingesetzter Impfstoffe oder z.T. noch in Entwicklung befindlichen Covid-19-Vakzine in bvmd (2021)
https://www.bmbf.de/bmbf/shareddocs/kurzmeldungen/de/das-sollten-sie-ueber-impfstoffe-wissen.html
speziell zu mRNA-Impfstoffen (Schweiz. Ak. d. Naturwissenschafte, SCNAT)
https://naturwissenschaften.ch/covid19-vaccination-explained/mrna_vaccines/wie_funktioniert_ein_mrna_impfstoff_
speziell zu Vektor-Impfstoffen (DZIF und RKI 2021)
https://www.dzif.de/de/glossar/vektorimpfstoff
https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/Impfen/Materialien/COVID-19-Vektorimpfstoff-Tab.html
oder eine instruktive Übersicht in Tab. 1 der Arbeit von Menzel A et al. (2021)
https://www.universimed.com/de/article/diabetologie-endokrinologie/covid-menschen-diabetes-65068

Empfehlenswert für die Hausarztpraxis: Faktenblätter des RKI zum Impfen, z.B.
https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/Impfen/Materialien/Faktenblaetter/COVID-19.pdf?__blob=publicationFile


Übersicht. Definition von Indikations- und Auffrischimpfungen nach STIKO (Stand: Juli 2011)

S

Standardimpfungen mit allgemeiner Anwendung = Regelimpfungen (â—˜Abb. B12.20)

SM

Standardimpfung für Mädchen

A

Auffrischimpfungen

I

Indikationsimpfungen für Risikogruppen bei individuell (nicht beruflich) erhöhtem Expositions-, Erkrankungsoder Komplikationsrisiko sowie auch zum Schutz Dritter

B

Impfungen auf Grund eines erhöhten beruflichen Risikos, z.B. nach Gefährdungsbeurteilung entsprechend den berufsgenossenschaftlichen Grundsätzen zur arbeitsmedizinischen Vorsorgeuntersuchung (Biostoffverordnung G 42) und aus hygienischer Indikation

R

Impfungen auf Grund von Reisen

P

Postexpositionelle Prophylaxe/Riegelungsimpfungen bzw. andere Maßnahmen der spezifischen Prophylaxe (Immunglobulingabe oder Chemoprophylaxe) bei Kontaktpersonen in Familie und Gemeinschaft


Die "Empfehlungen der Ständigen Impfkommission(STIKO)am Robert-Koch-Institut(RKI)werden alljährlich aktualisiert

(Gesamtübersicht zu Indikations- und Auffrischimpfungen sowie anderen Maßnahmen der spezifischen Prophylaxe der Ständigen Impfkommission (STIKO) am Robert Koch-Institut (RKI)

Sie enthalten u.a.

- einen übersichtlichen "Impfkalender(Standardimpfungen)für Säuglinge, Kinder, Jugendliche und Erwachsene",
- eine umfangreiche Tabelle "Standardimpfungen des Erwachsenenalters, Indikations-und Auffrischungen",
- ausführliche "Anmerkungen zu einzelnen Impfungen",
- "Hinweise zur Durchführung von Schutzimpfungen",
- eine Tabelle "Postexpositionelle Impfungen sowie andere Maßnahmen der spezifischen Prophylaxe".

Mitglied der STIKO ist seit Jahren auch ein Vertreter der DEGAM.


"Kinderkrankheiten durchgemacht": Trotzdem impfen?

Die Antwort gibt Dr. med. Andreas Leischker in der Zeitschrift Der Allgemeinarzt (2017).
https://www.allgemeinarzt-online.de/a/kinderkrankheit-durchgemacht-trotzdem-impfen-1837574


Varizellenimpfung des Impflings bei Schwangerschaft der Mutter

Risikoabwägung: Derzeit ist das Risiko für ein konnatales Varizellensyndrom bei einer seronegativen Schwangeren mit Kontakt zu ihrem ungeimpften und damit ansteckungsgefährdeten Kind höher als das Risiko einer solchen Komplikation durch die Impfung und ggf. die Übertragung von Impfvarizellen durch ihr Kind (STIKO 2011).


COVID-19-Impfstoffe und Impfmanagement

Seit der SARS-CoV-2-Pandemie im Jahr 2020 ist eine breite inner-und außerärztliche Diskussion um eine "Impfung gegen Corona" entbrannt. Welche unterschiedliche Wirkprinzipien gibt es ? Welche Hersteller ? Wie lassen sich Argumente der Impfgegner und Impfzweifler entkräften ? Die Zeitschrift Der Allgemeinarzt verfolgt von Anfang an diese Diskussion, auch zu Themen wie Impfplicht, Haftung, Einwilligung bei Minderjährigen
https://allgemeinarzt.digital/epaper-data/Der-Allgemeinarzt-2021_2/40/index.html
https://allgemeinarzt.digital/epaper-data/Der-Allgemeinarzt-2021_7/54/index.html
https://allgemeinarzt.digital/epaper-data/Der-Allgemeinarzt-2021_8/56/index.html
https://allgemeinarzt.digital/epaper-data/Der-Allgemeinarzt-2021_15/54/index.html


Herpes-zoster-Impfung

Vorbemerkung: Der Herpes zoster beruht auf einer Reaktivierung des Varizella-zoster-Virus, das nach einer durchgemachten Windpockenerkrankung latent in den Ganglien sensibler Nerven ruht. Das Lebenszeitrisiko für Herpes zoster liegt in Mitteleuropa generell bei 10-20 % mit deutlichem Anstieg der Inzidenz im höheren Lebensalter. Häufigste Komplikation im Anschluss an den Herpes zoster ist die schmerzhafte postherpetische Neuralgie.

In einer großen randomisierten Studie (RCT) zeigte sich durch eine Varizellen-zoster-Impfung (Zostavax®) eine signifikante Reduktion der Morbidität an Herpes zoster (von 3,3 % auf 1,6 %, NNT = 59). Auch kam es zu einer Abnahme der Inzidenz der insgesamt sehr seltenen postherpetischen Neuralgie (von 0,42 % auf 0,14 %, NNT = 357). Der Effekt wird durch signifikant häufigere lokale Nebenwirkungen nach der Impfung (48 % versus 16 %, NNH = 3) und auch schwerwiegende Nebenwirkungen (1,9 % versus 1,3 %, NNH = 167) erkauft. Aufgrund der Auswahlkriterien in der Zulassungsstudie ist der Nutzen nur bei Gesunden über 60-Jährigen belegt (Bachofner 2011).


Influenza-Impfung von Schwangeren

Das RKI erläutert dazu (Stand: 7.9.2012):

"Aktualisierte Daten zur saisonalen Influenza sowie während der Influenzapandemie 2009 gewonnene Erfahrungen zeigen, dass Schwangere bei einer Influenzainfektion ein erhöhtes Risiko für schwere Krankheitsverläufe haben. Daher empfiehlt die Ständige Impfkommission (STIKO) seit 2010 die saisonale Influenzaimpfung für alle Frauen, die während der Influenzasaison schwanger sind. Das erhöhte Komplikationsrisiko von Schwangeren hängt mit verschiedenen physiologischen und immunologischen Veränderungen zusammen, die während einer Schwangerschaft im Körper ablaufen. Diese Veränderungen können schwangere Frauen für virale Erreger wie das Influenzavirus empfänglicher machen und schwere Krankheitsverläufe begünstigen. Neugeborene profitieren von der Impfung ihrer Mütter dadurch, dass über die Plazenta Antikörper von der Mutter an das Kind weitergegeben werden, die dem Neugeborenen einen gewissen Schutz in den ersten Monaten nach der Geburt verleihen. Bei der Impfung von Schwangeren spielt auch die Überlegung eine Rolle, das Neugeborene vor einer Infektion durch die Mutter zu schützen, da Influenzaimpfstoffe nicht für Kinder unter 6 Monaten zugelassen sind.

Da es sich bei den in Deutschland zugelassenen Influenzaimpfstoffen für Erwachsene um Totimpfstoffe handelt, ist eine Impfung grundsätzlich in jedem Stadium der Schwangerschaft unbedenklich. Für gesunde Schwangere empfiehlt die STIKO die Impfung dennoch erst ab dem 2. Schwangerschaftsdrittel. Damit soll verhindert werden, dass die im 1. Schwangerschaftsdrittel häufiger auftretenden Spontanaborte fälschlicherweise mit der Impfung in Verbindung gebracht werden und so im Einzelfall für die Betroffenen zu einer besonderen psychischen Belastung werden. Schwangere Frauen, bei denen auch aufgrund einer chronischen Grunderkrankung eine zusätzliche Indikation zur Influenzaimpfung besteht, sollten unabhängig vom Schwangerschaftsstadium geimpft werden. Die Sicherheit der Impfstoffe wurde sowohl für Schwangere als auch für Ungeborene bestätigt. Es wurde in Studien keine erhöhte Zahl von schweren Reaktionen auf Grund einer Impfung festgestellt. Weder war die Anzahl der Frühgeburten oder Kaiserschnitte erhöht, noch gab es Unterschiede im Gesundheitszustand der Säuglinge nach der Geburt."


Grippeschutzimpfung bei über 65jährigen

Wegen der immunologischen Besonderheiten ist die Impfung mit konventionellen Influenza-Impfstoffen bei älteren Menschen weniger effektivNeue Impfstoffe mit zusätzlichem Wirkverstärker sollen diesem Problem begegnen, schreibt eine Geriaterin, ein Mikrobiologe und der Vorsitzende der Sächsischen Impfkommission in der Zeitschrift Der Allgemeinarzt (2017)
https://www.allgemeinarzt-online.de/a/grippeschutzimpfung-praevention-fuer-die-generation-1837588


Grippe-Impfung mit Vierfach-Impfstoff

Die jährlichen Grippewellen verlaufen unterschiedlich und fordern mal mehr, mal weniger Opfer. Den besten Schutz bietet nach wie vor eine Impfung, wobei quadrivalente Impfstoffe ein größeres Erregerspektrum abdecken, schreiben Dres.med. Wutzler et al. in der Zeitschrift Der Allgemeinarzt (2017).
https://www.allgemeinarzt-online.de/a/grippe-impfung-warum-brauchen-wir-vierfachimpfstoffe-1852310


Impfgegner: Gegenargumente mit Fakten

Den größten Einfluss auf die Impfquote üben Ärzte aus: Stehen sie Impfungen positiv gegenüber, ist die Impfquote ihrer Patienten höher. Ärzte begründen ihre Skepsis gerade bei Älteren mit der Immunseneszenz – der mit zunehmendem Alter abnehmenden Immunfunktion, die zu einer geringeren Effektivität von Impfungen beiträgt. Dennoch konnte in Studien ein ausreichender protektiver Effekt sowohl bei Älteren als auch bei chronisch Kranken nachgewiesen werden.


Argumentation bei Impfverweigerern

Für den die Impfung durchführenden Arzt kann es sinnvoll sein, bei Bedenken gegen die empfohlenen Impfungen auf den Vergleich der Komplikationsraten von Erkrankung und Impfung (Tabelle) hinzuweisen.

Tabelle. Vergleich der Komplikationsraten von Erkrankung und Impfung

 

Symptom

Krankheit

Impfung

Masern

Enzephalitis

1/250 bis 1/10.000

< 1/1 Mio/ Zusammenhang nicht bewiesen

Mumps bei Jugendlichen/ Erwachsenen

Meningitis

Orchitis

1/10

1/4

Ca. 1/1 Mio

0

Röteln

Schwangere 1. Trim.

Embryopathie

Bis 85/100, je nach Gestationswoche

0

Pertussis (azellulärer Impfstoff)

Bleibender Hirnschaden

1/100 – 500, je nach Alter

0

Poliomyelitis (IPV)

Paresen

1/100, je nach Erregertyp

0

Varizellen

Immunsupprimierte

Perinatale

Tollwut

 

Tod

Tod

Tod

 

50/100

30/100

100/100

 

0

0

0

Nach: Schwierige Impffragen 2008, U. Quast, S. Ley-Köllstadt, U. Arndt (AA/2012)


Organisation von Impfungen in der Hausarztpraxis

Zum Thema Impfmanagement hat der Bremer Allgemeinarzt Dr.med. Günther Egidi eine mehrseitige und mehrfach überarbeitete Arbeitsanweisung für seine Mitarbeiter entwickelt (11/ 2014), die neben "häufig gestellten Fragen"  22 Anweisungen zum prozessorientierten Vorgehen enthält.(Übernahme mit freundlicher Genehmigung).
Impfung Juli 2015

Weitere Beiträge zum Thema Impfmanagement in der Zeitschrift Der Allgemeinarzt (2011 - 2012):

- Den Patienten schon beim Erstkontakt auf Impfschutz ansprechen.
- Aufklärung, Impfpass, Dokumentation, Lagerung der Impfstoffe.
- Aspirieren beim Impfen? Fertigspritzen entlüften? Impfung von blutverdünnten Patienten?

AA_10-2012_Impfberatung in der Praxis
AA_12-2012_Impfen - technische Fallstricke
AA_20-2012_Umgang mit Impfstoffen


Falsche Impfstoffdosis

Der Reisemediziner Dr. med. Andreas Leischker setzt sich in der Zeitschrift Der Allgemeinarzt (2017) mit der Frage auseinander: "Kann man bedenkenlos eine 2. Dosis verabreichen, wenn versehentlich zu wenig geimpft wurde? Gibt es eine Überdosierung?"
http://www.allgemeinarzt-online.de/a/was-tun-bei-falscher-impfdosis-1808799


Der optimale Injektionsort

Der Reisemediziner Dr. med. Leischker beschreibt in der Zeitschrift Der Allgemeinarzt (2017) die optimalen Injektionsorte für Säuglinge und Kinder < 2 Jahre sowie für Jugendliche und Erwachsene.
http://www.allgemeinarzt-online.de/a/deltoideus-und-alternativen-1806841
 

Weitere Informationen
zum Thema Impfen in "Mader: Fakten-Fälle-Fotos®" Kap. 13.5.2 Impfempfehlungen


Fallbeispiel

Kasuistik 15.8.5-1: Röteln-Impfung: Mutter mit 16-jähriger Tochter beim Hausarzt

Mutter: „Herr Doktor, ich hab mir mal den Impfplan der Karin angesehen: Röteln-Impfung war wohl Fehlanzeige. Ich hatte da früher einen Hausarzt, der war wohl auch so ein Impfmuffel wie ich. Aber jetzt hat sie ja einen Freund.“

Übung:

Überlegungen und Fragen

Wie sollte der Hausarzt in diesem Fall mit dem "Beratungsproblem Impfen" umgehen?

  1. Schwangerschaft: in der hausärztlichen Praxis im unausgelesenen Krankengut regelmäßig oder nicht mehr regelmäßig häufig?
  2. Geschätzte Häufigkeit von Röteln-Bildern in den letzten 50 Jahren?
  3. „Kritischer“ Röteln-Titer als Ausdruck für fragliche Immunität?
  4. Was sagt der Packungszettel des Rötelnimpfstoff-Herstellers über die Bedingungen zur Durchführung der Röteln-Impfung aus?
  5. Sollte die Tochter in derselben Sitzung gegen Röteln geimpft werden oder nicht?

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