Mader : Fakten - Fälle - Fotos®
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15.10 Umgang mit Sterbenden

Zusatzinfo

Sterben in Würde. Grundsätze und Empfehlungen: Titel einer 28 seitigen Broschüre von BÄK und KBV
http://www.aerzteblatt.de/archiv/58466


Die Wahrung des Selbstbestimmungsrechts lautet ein Beitrag mit Kasuistik des Klinikers Dr. med. Ernst Bühler in der Zeitschrift Der Allgemeinarzt (2017), der sich mit der frühzeitigen Versorgungsplanung des Patienten befasst und dabei dem Hausarzt eine Schlüsselrolle zuweist.
https://www.allgemeinarzt-online.de/a/versorgungsplanung-die-wahrung-des-selbstbestimmungsrechts-1830525


Grundsätze der Bundesärztekammer (BÄK) zur ärztlichen Sterbebegleitung 2011

I Sterbephase

  • Recht auf Beistand, palliativmedizinische Versorgung.
  • Maßnahmen, die den Todeseintritt nur verzögern, sollen unterlassen oder beendet werden.
    (2004: Maßnahmen zur Verlängerung des Lebens dürfen in Übereinstimmung mit dem Willen des Patienten unterlassen … werden …)

II Patienten mit infauster Prognose

  • … ist eine Änderung des Behandlungszieles geboten, wenn lebenserhaltende Maßnahmen Leiden nur verlängern würden oder die Änderung des Behandlungsziels dem Willen des Patienten entspricht. An die Stelle von Lebensverlängerung und Lebenserhaltung tritt dann die palliativmedizinische Versorgung einschließlich pflegerischer Maßnahmen.
    (2004: … kann eine Änderung des Behandlungszieles indiziert sein, wenn lebenserhaltende Maßnahmen Leiden nur verlängern würden und die Änderung des Therapiezieles dem Willen des Patienten entspricht).

Tabelle. Häufige Symptome in der Terminalphase

Symptom

Häufigkeit

Körperliche Schwäche

82 %

Schmerzen

42 %

Tumorblutungen

2 %

Neuropsychiatrische Symptome

Motorische Unruhe

22 %

Bewusstseinsstörungen

17 %

Verwirrtheit/Delir

11 %

Schlafstörungen

8 %

Respiratorische Symptome

Dyspnoe

20 %

Rasselatmung

14 %

Husten

2 %

Gastrointestinale Symptome

Übelkeit und Erbrechen

19 %

Obstipation

9 %

Mundtrockenheit

8 %

Aszites

2 %


Tabelle. Medikamente für die Terminalphase

Symptom

Medikament

Schmerzen

Morphin s.c.

(20 % der Tagesdosis)

Unruhe/Angst/Krampfanfall

Midazolam s.c.

(5-15 mg)

Delir

Haloperidol s.c.

Übelkeit, Erbrechen

Metoclopramid, Haloperidol, Levomepromazin, Dexamethason s.c.

Atemnot

Morphin, Lorazepam, Midazolam, Steroide

Terminale Rasselatmung

N-Butyl-Scopolamin 20 mg s.c.


Regeln der Schmerzbehandlung in der letzten Lebensphase

  • Schmerzmedikation nach dem WHO-Stufenschema
  • Geeigneter Applikationsweg: solange möglich oral, dann bevorzugt subkutan
  • Festes Zeitschema
  • Geeignete Koanalgesie
  • Dosis für Bedarfsmedikation angeben: pro Gabe 1/4 oder 1/6 der Tagesdosis
  • Prophylaxe von Nebenwirkungen wie Obstipation
  • Aufklärung von Patient und Angehörigen

Welche Maßnahmen sind bei Übelkeit/Erbrechen geeignet?

  • Frische Luft
  • Bei Ileus Ablaufsonde
  • Medikamentös: Metoclopamid 4x10 mg oder Dimenhydrinat 2x200 mg oder  3x5 gtt Haloperidol  oder 3x3 gtt Levomepromazin.

Wie lautet das Stufenschema bei Obstipation?

  • Macrogol oder Natriumpicosulfat oder Bisocodyl
  • Macrogol plus Natriumpicosulfat/Bisocodyl
  • Macrogol plus Natriumpicosulfat/Bisocodyl plus Paraffin/Senna
  • plus Suppositorien und/oder Einläufe.

Quelle: Claudia Levin (2012)


Definition

Die Palliativmedizin konzentriert sich auf die bestmögliche medizinische und pflegerische, psychosoziale und spirituelle Behandlung und Begleitung schwerstkranker und sterbender Menschen sowie ihrer Angehörigen. Gemeinsames Ziel ist es, für weitgehende Linderung der Symptome und Verbesserung der Lebensqualität zu sorgen – in welchem Umfeld auch immer Betroffene dies wünschen (Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin).

Nach Übereinkünften der Vereinten Nationen ist der Zugang zur Palliativversorgung eine rechtliche Verpflichtung.

In Deutschland erkranken immer mehr Menschen an Krebs. Das RKI schätzt die Zahl der Neuerkrankungen auf fast 490.000/Jahr. Dank der Fortschritte in der modernen Medizin und der wissenschaftlichen Forschung kann heute die Hälfte der Betroffenen dauerhaft geheilt werden. Nach wie vor erleiden aber viele Krebspatienten im Laufe ihrer Krankheit Rückfälle und müssen mit Komplikationen fertig werden.

Das Wort Palliativmedizin hat seinen Ursprung im Lateinischen: „pallium“ heißt Mantel, und wie ein Mantel sollen alle Maßnahmen der Palliativmedizin den Schwerstkranken schützend umhüllen.

 

Definition

Palliativmedizin ist „ein Ansatz zur Verbesserung der Lebensqualität von Patienten und ihren Angehörigen, die mit Problemen konfrontiert sind, die mit einer lebensbedrohlichen Erkrankung einhergehen, und zwar durch Vorbeugen und Linderung von Leiden, durch frühzeitiges Erkennen, Einschätzung und Behandlung von Schmerzen sowie anderen belastenden Beschwerden körperlicher, psychosozialer und spiritueller Art“ (WHO 2002).

1983 wurde auf Veranlassung der Deutschen Krebshilfe in Köln die erste Palliativstation Deutschlands eingerichtet.

 

Hospize

Hospize sind Einrichtungen mit dem Ziel, das Leiden Sterbenskranker zu lindern, ihnen das Verbleiben in der vertrauten Umgebung zu ermöglichen und auch den Angehörigen beizustehen.

Der ambulante Hospiz- und Palliativpflegedienst übernimmt die palliativpflegerische Versorgung in enger Abstimmung mit den behandelnden Ärzten und steht bei Bedarf auch für die sog. Grundpflege (dazu gehören z. B. Körperpflege, An- und Auskleiden, Lagern des Kranken) zur Verfügung. Angehörige erhalten durch diese Dienste vor allem Unterstützung bei palliativpflegerischen Maßnahmen. Der Dienst muss rund um die Uhr erreichbar sein. Der Gesetzgeber hat zur Qualitätssicherung dieser Dienste bestimmte Rahmenbedingungen vorgegeben.

(Palliativmedizin. Hrsg. Deutsche Krebshilfe, 2012)

 

Weiterführende Informationen:

Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin
http://www.dgpalliativmedizin.de

Deutscher Hospiz- und PalliativVerband e.V. (Dachverband von ca. 1.000 Hospizvereinen und Palliativeinrichtungen mit rd. 80.000 Ehrenamtlichen und zahlreichen hauptamtlich Engagierten)
http://www.dhpv.de

Ethik-Charta der Deutschen Schmerzgesellschaft e.V.
http://www.dgss.org/pdf/kurzfassung_ec_einzelseiten.pdf


Patientenverfügungsgesetz

Am 1.9.2009 ist das „3. Gesetz zur Änderung des Betreuungsrechts“ („Patientenverfügungsgesetz“) in Kraft getreten. Die neue Rechtslage orientiert sich an der bisherigen Rechtsprechung: Eine von einem einwilligungsfähigen Patienten für den Fall des späteren Verlustes der Einwilligungsfähigkeit errichtete schriftliche Patientenverfügung ist verbindlich (§ 1901a Abs. 1 BGB). Sie ist bei der Entscheidung über ärztliche Maßnahmen zu beachten, wobei es auf das Stadium der Erkrankung ausdrücklich nicht ankommt (§ 1901a Abs. 3 BGB). Sofern für den nicht mehr einwilligungsfähigen Patienten ein von ihm für diesen Fall bevollmächtigter (Vorsorge-bevollmächtigter) oder ein vom Gericht hierfür bestellter Betreuer handelt, muss dieser den Willen des Patienten gegenüber Arzt, Pflegepersonal und Einrichtung, in der der Patient untergebracht ist, durchsetzen. Gibt es keine schriftliche Patientenverfügung, sind die Behandlungswünsche oder der mutmaßliche Wille des Patienten anhand konkreter Anhaltspunkte, etwa früherer mündlicher Äußerungen, zu ermitteln (§ 1901a Abs. 2 BGB). Als Patientenverfügung im Sinn des Gesetzes ist nur eine schriftliche Äußerung zu werten: Nach § 126 BGB muss also ein vom Patienten eigenhändig unterschriebenes Schriftstück vorliegen; diese Form erfüllen z. B. auch die vielfach gebräuchlichen „Ankreuzformulare“, wenn sie die Unterschrift des Patienten aufweisen. Eine notarielle Beurkundung ist nicht erforderlich. Eine mündliche Äußerung ist nicht als Patientenverfügung im Sinn des Gesetzes zu werten, sie ist aber im Einzelfall rechtlich nicht unbeachtlich (Borasio et al. 2009).


Weiterführende Information:

„Patientenverfügung. Leiden – Krankheit – Sterben. Wie bestimme ich, was medizinisch unternommen werden soll, wenn ich entscheidungsunfähig bin?“ Info-Broschüre des Bundesministeriums der Justiz (mit Textbausteinen für die schriftliche Patientenverfügung sowie Beispielen), Berlin, 2012, 42 S.
http://www.bmj.de/SharedDocs/Downloads/DE/pdfs/Patientenverfuegung.pdf?__blob=publicationFile

S3- LL Palliativmedizin für erwachsene Patienten mit einer nicht heilbaren Krebserkrankung
http://www.bayerisches-aerzteblatt.de/fileadmin/aerzteblatt/ausgaben/2016/10/einzelpdf/BAB_10_2016_488_493.pdf
 

Landendörfer P (2015) Sterbebegleitung im Alter. Hausärztliche Palliativmedizin im Team. Bd 6 der Reihe Praktische Geriatrie. Der ältere Patient beim Hausarzt. Hrsg. Landendörfer P, Mader F H, Kirchheim Verlag, Mainz
http://www.kirchheim-shop.de/aerzte/ALLGEMEINMEDIZIN/Buecher/Sterbebegleitung-im-Alter.html


Hausarzt als zentraler Teamplayer

Die verschiedenen Versorgungsebenen (vom Krankenhaus nachhause) sowie die Beteiligten in der Palliativversorgung (von Hausarzt, über Pflegedienst, pflegende Angehörige, bis Palliativzentrum) waren Thema von Dr.med. Annegret Vahlbruch auf dem 33. Seminarkongress Lüneburg, über den die Zeitschrift Der Allgemeinarzt (2017) berichtet. 
https://www.allgemeinarzt-online.de/a/palliativmedizin-der-hausarzt-als-zentraler-teamplayer-1849113


Fallbeispiel

Kasuistik 15.10-1: Pankreaskarzinom: "Wann muss ich sterben?"

Der Allgemeinarzt und Geriater Dr.med. Peter Landendörfer schildert in seinem Buch "Sterbebegleitung im Alter" einen Fall, den er von der Eröffnung der Diagnose bis zur Finalphase und zum Tod exemplarisch anhand von Einzelepisoden begleitet und fachlich unter dem Aspekt des Hausarztes illustriert.

74-jährige Frau P. mit Pankreaskopf- Karzinom. Eröffnung der Diagnose und Besprechung mit Patientin und Tochter. Nach Terminabsprache kommt Frau P. mit ihrer Tochter zur abschließenden
Besprechung ihrer Befunde. Vor etwa vier Wochen konsultierte sie mich wegen eines plötzlichen Ikterus: „Seit drei Monaten habe ich keinen so richtigen Appetit mehr, habe stark an Gewicht abgenommen – 10 Kilo. Jetzt wiege ich bloß noch 50 Kilo. Habe leicht dumpfe Schmerzen manchmal im Rücken, aber ich habe ja immer schon wegen meiner Bandscheibe Kreuzschmerzen. Am meisten plagt mich aber die ständige Müdigkeit.“ Meine Untersuchung, die notwendigen Laborwerte und die Ultraschalluntersuchung ließen keinen Zweifel am Vorliegen eines Pankreasprozesses. Umgehend veranlasste ich die entsprechenden Untersuchungen, die ein Pankreaskopf-Karzinom ergaben. Während die Mutter auffallend gefasst wirkt, sehe ich der Tochter die Angst vor unserem Gespräch deutlich an: „Nun, Herr Doktor, was ist es denn?“ Nach einigen herzlichen einleitenden Sätzen erkläre ich den beiden die vorliegenden Befunde und konfrontiere sie mit der Diagnose: „Nach allem, was ich vorliegen habe, ist der Grund Ihrer monatelangen Beschwerden ein bösartiger Tumor in der Bauchspeicheldrüse. Leider hat auch die Leber bereits Befunde, die vom Tumor herrühren.“ Nach einer kurzen Phase der Sprachlosigkeit will die Tochter wissen, was man da machen könnte, ob es denn eine Therapie gebe. Die Mutter unterbrach sie aber sehr bestimmt: „Ich weiß, was das bedeutet. Ich habe mich schon belesen und werde auf keinen Fall einer Operation oder sonst einer Therapie zustimmen. Ich habe etwas Ähnliches bei meiner Mutter miterleben müssen. Diese Qual nach der Operation, die Therapie danach – und trotzdem war alles umsonst! Nein, das kommt gar nicht in Frage!“ Trotzdem erkläre ich den beiden die heutigen Therapiemöglichkeiten, was die Tochter mit großem Interesse aufnimmt. Die Mutter aber unterbricht immer wieder das Gespräch und will von all dem nichts wissen. „Erzählen Sie mir lieber, was die kommenden Monate bringen werden! Wann muss ich sterben?“

 

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