Mader : Fakten - Fälle - Fotos®
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1.3.4 Beratungsanlass, Beratungsursache, Beratungsergebnis, Beratungsproblem

Zusatzinfo

Vorbemerkung
Die 4 fachsprachlichen Begriffe
- Beratungsanlass (BA)
- Beratungsursache (BU)
- Beratungsergebnis (BE)
- Beratungsproblem (BP)
beschreiben und umfassen inhaltlich und semantisch den gesamten diagnostisch-therapeutischen  Prozess im Patienten-Arzt-Verhältnis (Abbildung unten: Mader FH Der diagnostische Prozess). 


Beratungsanlass (BA)

Dieser beginnt auf der Patientenseite häufig mit organisatorischen Vorgaben ("Ich soll in 2 Wochen wieder zur Blutkontrolle"), mit Beschwernissen oder Einschränkungen ("Ich krieg immer schlechter Luft") oder mit Befürchtungen und Ängsten ("Hoffentlich krieg ich nicht auch dasselbe wie...") oder mit ganz spontanen Einfällen ("Ich müsste mal die Impfung erneuern") oder mit Impulsen durch andere ("Du solltest mal dich gründlich untersuchen lassen"). Dieser Umstand, der letztlich den Patienten bewegt, einen Arzt aufzusuchen, wird als Beratungsanlass (BA) bezeichnet. Abgesehen von offensichtlichen Notfällen hat der mündige Patient bestimmte Vorstellungen und Erwartungen von seinem Arztbesuch.

Merke:
Der Beratungsanlass (BA) betrifft die Welt des Patienten; er ist als komplexes medizinisches Phänomen bisher unerforscht. 


Beratungsursache (BU)

Beim ersten Patienten-Arzt-Kontakt sitzen im Arzt-Patienten-Setting zwei Seiten gegenüber, welche unter dem Gebot des Zeitfaktors der Sprechstunde möglichst rasch und zielführend einen Gesprächseinstieg finden wollen und/oder müssen. Dabei kann der "klassische" Eröffnungssatz des Arztes: "Was fehlt Ihnen ?" manchmal bereits die diagnostische Richtung durch die Antwort des Patienten vorgeben, etwa: "Ich hab mir das Kreuz verrissen" - "Ich habe Juckreiz". Der Arzt schlägt jetzt die direkte Diagnostik ein, untersucht also sogleich den Rücken, die Haut und klassifiziert  zunächst "Kreuzschmerzen" bzw. "Juckreiz". Meist liegen die Fälle jedoch komplexer. Beispielsweise klagt der Patient: "Ich bin so müde". Hier könnte die Frage des Arztes: "Was vermuten Sie selber als mögliche Ursache ?" oder "Was befürchten Sie ?" helfen, den Beratungsanlass (BA) einzukreisen. Beide Fragen ("Vermutung/ Furcht vor") sind bereits in den Items der meisten Checklisten der Programmierten Diagnostik enthalten. Die Antworten des Patienten würden im Falle der "Müdigkeit" sicher vielfältig ausfallen: "Vielleicht sind es die Dämpfe am Arbeitsplatz ?" - "Ach, der große Haushalt, das knappe Geld, der Stress mit den Kindern" - "Ich weiß es auch nicht. Vielleicht hilft eine Kur ? Bei meinem Nachbarn hatte es genauso begonnen, der kam kaum noch vom Sofa hoch und zwei Monate später...".Der Arzt hört und hinterfragt das Angebot des Klienten, sieht und beobachtet ihn und versucht, diese diagnostischen Angaben und Eindrücke zu einer - für ihn selber, nicht unbedingt auch für den Patienten - mehr oder minder schlüssigen Beratungsursache (BU) zusammenzuführen, beispielsweise "Bronchitis", "Familiäre Problematik", "Berentungswunsch". Dieses Stadium der Prozessfindung wird oftmals vorschnell und oft genug falsch als "Anhiebsdiagnose" bezeichnet. Fremdsprachliche Bezeichnung für BU (Fink und Kamenski 2000) Englisch: reason for consultationreason for encounter, Französisch: motif de la consultation

Merke:
Die Beratungsursache (BU) betrifft die Welt des Arztes; sie ist derzeit ein wissenschaftliches fast unberührtes Gebiet.


Beratungsergebnis (BE)
Nach entsprechender Diagnostik im hausärztlichen Bereich oder vertiefter Diagnostik im Spezialbereich könnte das Beratungsergebnis (BE)mindestens so vielfältig ausfallen, etwa von "Eisenmangelanämie", über "Herzinsuffizienz Stadium NYHA I", "Alkoholabhängigkeit", "Familiäre Problematik", "Depressive Episode", "Dickdarmkarzinom" bis hin zu "Uncharakteristische Müdigkeit". Die Formulierung des BE wird durch den Arzt mit der Benennung des BE  und durch die prozessgerechte Klassifizierung des diagnostischen Bereichs (Symptom, Bild einer Krankheit, exakte Diagnose) abgeschlossen. Fachsprachlich ist der Begriff BE identisch mit dem Begriff "Fall". Im Praxisjargon wird das BE meist falsch als "Diagnose" bezeichnet, auch wenn nur ein Symptom oder das Bild einer Krankheit erkannt wurde und es nicht zu einer wissenschaftlich exakten Diagnose kam. Die allgemeinmedizinischen Statistiken sind Fällestatistiken, gehen als vom BE aus und nicht - wie unten in der Abbildung von 1968) von der BU. Fremdsprachliche Bezeichnung von BE (Fink und Kamenski 2000) Englisch: result of consultation, Französisch: résultat de consultation.

Merke:
Das Beratungsergebnis (BE) betrifft die Welt des Arztes; die theoretischen und fachsprachlichen Grundlagen stammen von R.N.Braun. Die Vorgehensweise vom BU zum BE ist im Praxisalltag meist individuell - von Arzt zu Patient, aber auch von Arzt zu Arzt. Die Programmierte Diagnostik führt von der BU zum BE.


Beratungsproblem (BP)
Für das Handeln und Behandeln des Arztes gibt es aufgrund der überwiegenden Unschärfe der Beratungsergebnisse im unausgelesenen Krankengut weder berufstheoretisch noch berufspraktisch verbindliche Vorgehensweisen. Hier wird überwiegend auf der Basis von Erfahrung, Intuition oder heruntergebrochener oder adaptierter spezialistischer Empfehlungen gearbeitet. Der gesamte Prozess zwischen BA und BE, in der Regel einschließlich der Konsequenzen für das Handeln von  Arzt und Patient, wird als Beratungsproblem (BP) bezeichnet. 

Merke:
Das Beratungsproblem (BP) betrifft die Welt von Arzt und Patient; es ist vereinzelt Gegenstand von meist umfangreichen evidenzbasierten Leitlinien. 


Inanspruchnahmen
Inanspruchnahmen sind nicht zu verwechseln mit BEs: Ein Diabetiker, der z. B. im Jahr 12-mal zur Kontrolle gekommen ist, zählt in der Jahresstatistik als ein einziger Fall, also als ein einziges BE. Die 12 Kontakte werden statistisch als Inanspruchnahmen bezeichnet; so oft wurde der Patient wegen desselben Problems gesehen und betreut.


Konsequenzen:

Die Begriffe "Beratungsanlass" und "Beratungsursache" werden im Praktikerjargon häufig synonym und damit falsch verwendet. 

- Der Allgemeinarzt sollte grundsätzlich die berufstheoretischen Begriffe "Beratungsanlass (BA)" und "Beratungsursache (BU)"auseinander halten.

- Der Allgemeinarzt sollte auch die unterschiedlichen Ebenen von BA und BU entsprechend dokumentieren. Sie sind Gegenstand einer angemessenen allgemeinärztlichen Anamnestik.

- Ebenso werden im Praktikerjargon die Begriffe "Beratungsursache (BU)" und "Beratungergebnis (BE)" nicht selten falsch als "Diagnose" bezeichnet.

- Die Formulierung und Dokumentation eines dem jeweiligen diagnostischen Erkenntnisstand (Symptom [A], Symptomgruppe [B], Bild einer Krankheit [C] oder exakte Diagnose [D]) (vgl.Kap.1.4)  angemessenen BEs ist die Grundlage einer qualitätsorientierten Fachpraxis für Allgemeinmedizin.


Vom BA zum BP (Abbildung 1)

Schematische Darstellung eines Beratungsproblems (BP) in der Allgemeinmedizin: Weg vom Beratungsanlass (BA) zur Beratungsursache (BU) über die Bewertung zum Beratungsergebnis (BE). Abgrenzung vom Laienbereich zum Arztbereich mit Erkennen, Benennen und Handeln. (Copyright ©/â„—Rechteinhaber Frank H.Mader, 2.3.2019)



Historische Abbildung: BU statt BE (Abbildung 2)

Falsche Begrifflichkeit "Beratungsursache". Gemeint ist "Beratungsergebnis". Ferner unstatthafte Aufteilung allgemeinmedizinischer Beratungsergbnisse nach Fachgebieten (S. Häußler 1968. Kostenkenntnis für Sozialversicherte).


Historische Abbildung: BU statt BE
Falsche Begrifflichkeit *Beratungsursache*. Gemeint ist *Beratungsergebnis*. Ferner unstatthafte Aufteilung allgemeinmedizinischer Beratungsergbnisse nach Fachgebieten (S. Häußler 1968. Kostenkenntnis für Sozialversicherte)

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